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Die "Kinder von Zehdenick" sind erwachsen

Dokumentation über einzigartiges Projekt zur Rettung eines jüdischen Friedhofs

Zehdenick -Inzwischen gehört der Friedhof wieder zur Gemeinde. Sogar Schilder weisen den Weg zum Gräberfeld am Rand des Ortes. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen sich die Einwohner des brandenburgischen Städtchens Zehdenick nur auf erneute Nachfragen an die Ruhestätte ihrer jüdischen Mitbürger aus der Vergangenheit erinnern. Über die wohl einmalige Geschichte der Wiederentdeckung und Rettung des 1766 begründeten Friedhofs durch eine Gruppe von Kindern berichtet eine Dokumentation, die am 31. Oktober im Berliner Centrum Judaicum vorgestellt wurde.

Bis Mitte der 90er Jahre war der 1898 geschlossene Friedhof ein von Unkraut, Müll und Sträuchern überwucherter, sich selbst überlassener Fleck Erde. Dann kommt Hansjürgen Werner, Lehrer an der örtlichen Grundschule, mit seinen Fünftklässlern und gibt dem Ort innerhalb von zweieinhalb Jahren wieder seine Würde zurück.

In mühevoller Kleinarbeit begeben sich die Kinder auf die Suche nach Bruchstücken von Grabsteinen, lernen hebräische Schriftzeichen und vertiefen sich in die Geschichte der Juden. Mitte des 19. Jahrhunderts waren es in Zehdenick etwa 150 bei einer Einwohnerzahl von 3000.

Die "Kinder von Zehdenick" werden bald über Brandenburg hinaus bekannt, ein mutiges Projekt inmitten einer fremdenfeindlich aufgeladenen Stimmung in der brandenburgischen Provinz. Noch 1999 schafften es Bürger des nördlich von Berlin gelegenen Städtchens, das ZDF dazu zu bringen, in einem Film über den alltäglichen Rechtsradikalismus in dem Ort den Namen Zehdenick nicht zu erwähnen.

Inzwischen stehen wieder über 30 Grabsteine

Ein gutes halbes Jahr zuvor, am 9. November 1998, 100 Jahre nach seiner Schließung, war der rund 1000 Quadratmeter große Friedhof der Öffentlichkeit zurückgegeben worden.

Inzwischen stehen wieder über 30 Grabsteine, teilweise sind nur noch Bruchstücke vorhanden. 62 Grabstellen sind insgesamt ermittelt worden.Vier Jahre später sind die "Kinder von Zehdenick" schon fast erwachsen geworden. Von drei Schülerjahrgängen sind gerade einmal zwei Jungen übrig übrig geblieben, die regelmäßig bei Aufräumarbeiten helfen, erzählt der pensionierte Pfarrer Wilfried Rahner. Der 71-Jährige ist Vorsitzender des Vereins Sachar / Erinnern, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Friedhof in Stand zu halten. Selbst die Jüdische Gemeinde in Brandenburg lasse ihn im Stich. "Wir stehen heute vor der Frage, wie es weiter geht."

Ein Zeichen haben die Kinder von Zehdenick aber dennoch gesetzt. Rechtsradikalen Umtrieben, wie sie in der Region in den vergangenen Jahren immer wieder zu beobachten waren, wird immer offensiver entgegen getreten. Nach einer Schändung des inzwischen denkmalgeschützten Friedhofs im Februar 2001 war jedenfalls der Aufschrei in dem Ort groß, die drei jugendlichen Täter wurden schnell gefasst.

Regelmäßig finden nicht nur zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar, sondern auch zum 9. November, dem Tag der Reichspogromnacht von 1938, Veranstaltungen auf dem Friedhof statt. Dazu würden auf nachdrückliche Einladung auch Vertreter der Stadt kommen, heißt es. In diesem Jahr findet das Totengebet bereits am Tag vorher statt. Denn der 9. November fällt auf einen Sonnabend und damit für Juden auf den Sabbat.

Lukas Philippi (epd)

Hansjürgen Werner:
Eine SteinZeit Geschichte.
Der "Gute Ort" der Kinder von Zehdenick.
Gollenstein Verlag 2002

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 45 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 07.11.2002

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