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Streite, Herr, gegen alle...

Schlagabtausch im Bundestag zum Johannes-Evangelium

Berlin (gs/kna/vr) - Allzu selten geht es im Bundestag zu wie in einer theologischen Fakultät: Dann wird über das Wort Gottes gestritten und gerungen, was das Zeug hält. Ein Zitat aus dem Johannesevangelium hat nun zum Auftakt der Regierungsarbeit im Bundestag für einen solchen Schlagabtausch gesorgt. Die Vorsitzende der Unionsfraktion, Angela Merkel, hatte am Morgen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nach dessen Regierungserklärung mit dem Jesus-Wort bedacht: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt." Das, so Merkel, gelte auch für Schröder. Dessen Vorstellungen, so war es wohl gemeint, seien auch nicht von dieser Welt - ein weltfremder Kanzler. Am Abend warf Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) dann der CDU-Chefin einen Missbrauch des Evangeliums für parteipolitische Zwecke vor. Das wiederum führte zu Empörung in den Reihen der Union.

Als Schily die Aussprache zum Thema Innenpolitik eröffnete, wandte er sich mit einer "Bitte des Kirchenministers" (Schily über Schily) in getragenem Ton an Merkel. Die Achtung vor dem Evangelium sollte so weit gehen, "dass wir das Johannesevangelium nicht missbrauchen für parteipolitische Polemik". Er habe, sagte der Minister weiter, nichts gegen Polemik. Aber religiöse Überzeugungen dürften dadurch keinen Schaden nehmen. Sonst könne auch eine Stimmung bereitet werden, in der Extremisten und Terroristen heranwüchsen, warnte Schily und setzte auf den schrägen Vergleich von Angela Merkel noch eins drauf - eine Warnung von nahezu apokalyptischen Ausmaßen.

Wie hält es der alte und neue Innenminister selbst mit der Religion? Anders als noch 1998 hatte Schily bei seiner diesjährigen Vereidigung hinzugefügt: "So wahr mir Gott helfe!" Zeigt sich hier etwa ein vertiefter Bezug des Menschen Schily zur Wahrnehmung seiner Verantwortung als Innenminister? Als solcher ist Schily schließlich auch zuständig für die Religionsgemeinschaften.

Wie dem auch sei - die Opposition sieht es weniger hoffnungsfroh: Der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion Wolfgang Bosbach nannte die Ausführungen Schilys "in jeder Form inakzeptabel" und sprach von einer "Kritik völlig neben der Sache". Dann versuchte der CDU-Rechtspolitiker einen Befreiungsschlag - sinnigerweise mit dem Buch Exodus. Schily habe im Wahlkampf ein Flugblatt zur Einwanderung verbreitet, das sachlich nicht korrekt gewesen sei, erinnerte Bosbach. "Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider Deinen Nächsten", hielt er Schily entgegen.

Unterm Strich ging es beim heftigen Streit im Bundestag auf allen Seiten wohl weniger um das Wort Gottes als um den Ur-Seufzer aller Politiker: "Streite, Herr, gegen alle, die gegen mich streiten, bekämpfe alle, die mich bekämpfen." (Psalm 35,1)

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 45 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 07.11.2002

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