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Auf zwei Minuten

Im finsteren Tunnel

Der Glaube als leitendes Licht

Pater Damian

Der Schriftsteller Franz Kafka hat 1917 unter dem Titel "Eisenbahnreisende" eine Parabel geschrieben, die die Situation des modernen Menschen darstellt: "Wir sind, mit dem irdisch befleckten Auge gesehn, in der Situation von Eisenbahnreisenden, die in einem langen Tunnel verunglückt sind, und zwar an einer Stelle, wo man das Licht des Anfangs nicht mehr sieht, das Licht des Endes aber nur so winzig, dass der Blick es immerfort suchen muss und immerfort verliert, wobei Anfang und Ende nicht einmal sicher sind. Rings um uns aber haben wir in der Verwirrung der Sinne oder in der Höchstempfindlichkeit der Sinne lauter Ungeheuer und ein je nach der Laune und Verwundung des Einzelnen entzückendes oder ermüdendes kaleidoskopisches Spiel. Was soll ich tun? Oder: Wozu soll ich es tun? sind keine Fragen dieser Gegenden".

Mir scheint, die Beobachtungen Kafkas treffen auch auf unsere Gegenwart zu. Der "Zug der Zeit" ist noch tiefer in den langen Tunnel gefahren und steckt fest. Das erzeugt Verwirrung und Angst. Es mangelt nicht an Plänen und Vorschlägen, den Zug wieder in Bewegung zu bringen. Es bieten sich viele Ideologien und Theorien an, die sich aber widersprechen. Es wird viel darüber diskutiert, mit welchen neuen Techniken und Methoden die Lokomotive in Gang kommen soll. Die Frage nach dem Sinn des Ganzen -"Wozu soll ich es tun?" -aber gerät ins Hintertreffen.

Der Eingang des Tunnels ist verschüttet, man sieht das Licht des Anfangs nicht mehr: Der Zugang zu den Kraftquellen des Anfangs -in der Sicht des Glaubens: Zur christlichen Tradition -ist versperrt. Man erwartet von dieser Seite keine Lösung des Problems. Der christliche Glaube wurde immer auch verstanden als Licht, als Wegweisung und Orientierung, als neuer Horizont. Wenn diese Sicht verblasst, wen wundert es, wenn dann auch das Ziel, das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr zu sehen ist oder nur noch ein sehr schwaches Flackern zeigt. Der Glaube kann nicht umhin, nach dem Woher und Wohin zu fragen, die typischen Sinnfragen zu stellen. Das bedeutet viel mehr als Überleben und die Unglückssituation irgendwie zu überstehen. Franz Kafka stellt die Situation dar, wie sie das "irdisch befleckte Auge" sieht. Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass das Auge im Lichte des Glaubens gereinigt wird und mit dem Blick der Hoffnung weiter sieht..

Jesus sagt von sich: "Ich bin das Licht der Welt" (Joh 8,12). Wer diesem Licht folgt, wird nicht im Finstern tappen, sondern wird selbst zum Licht für die Menschen in der Welt (Mt 5,14).

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 45 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 07.11.2002

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