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Aus der Region

Mehr als Seel-Sorge

Viel Hoffnung, viele Fragezeichen -Grimma ein Vierteljahr nach der Flut

Hochwasserschäden -auch in der Kirche: Schwester Benigna, Pfarrer Marschner und Pfarrer Kiefer (von rechts) im Gespräch mit einem Bauarbeiter in der katholischen Kirche in Grimma.

Grimma (mh) -"Grimma lebt!" So steht es in großen Buchstaben am Stadtrand. Und wer sich in die Altstadt begibt, kann die kleinen Lebenszeichen entdecken. Viele äußerliche Schäden, die die Mulde am 13. August verursacht hat, als sie mit einer Geschwindigkeit vier Metern pro Sekunde und einem stündlich 40 Zentimeter höherem Pegel durch die Altstadt schoss, sind ein Vierteljahr später beseitigt. Die riesigen Schutt- und Müllberge -schätzungs- weise 60 000 Tonnen -sind weg. An vielen Geschäften verkünden kleine Zettel oder große Plakate "Wir machen weiter!" oder "Wir sind wieder für Sie da!" -häufig mit der Adresse einer Ausweichsverkaufsstelle oder dem Datum der Wiedereröffnung versehen.

Die Mitglieder der Pfarrgemeinde Bad Hönningen (Bistum Trier) sind angetan von "der Zuversicht, dem Mut und der Kraft", die die Grimmaer in dieser Situation zeigen. Sie sind für ein Wochenende hierher gekommen, um sich selbst ein Bild zu machen, von der Situation in der Stadt, mit deren katholischer Gemeinde sie seit den Tagen des Hochwassers in Verbindung stehen. Mehrere Hilfsaktionen haben sie organisiert. Die Amtseinführung des neuen katholischen Pfarrers in Grimma war nun der Anlass, die Stadt zu besuchen.

Der Wiederaufbauwille ist die eine Seite. Auf der anderen Seiten stehen gewaltige Schäden. So sind 20 Häuser der Flut sofort zum Opfer gefallen, weitere 20 wurden so stark geschädigt, dass auch für sie nichts anderes übrig bleibt als Abriss. Der Blick hinter die Fassaden macht betroffen. Fast überall ist in Erdgeschosshöhe der Putz abgeschlagen. An eine Nutzung der Wohn- und Geschäftsräume ist in vielen Häusern nicht zu denken.

Das alles erfahren die Bad Hönninger während einer besonderen Stadtführung, die jetzt regelmäßig am Wochenende angeboten wird: "Grimma nach der Flut" -das war Klaus Büchners Idee. Der Lehrer im Ruhestand -viele Jahre war er Stadtrat, jetzt ist er Stadtführer -sagt: "Wir wollen keinen Hochwasser-Tourismus. Aber wir wollen zeigen, was die Flut aus unserer schönen Stadt gemacht hat und was wir inzwischen -dank der gewaltigen Solidarität und der vielen Spenden -schon wieder in Ordnung gebracht haben." Grimma nennt sich die "Perle des Muldentals". Ein Fünftel der Steuereinnahmen kam aus dem Tourismus, der dringend wieder angekurbelt werden muss und so sind die Bad Hönninger für die Stadt willkommene Gäste.

Auch die katholische Kirche hat das Hochwasser schwer getroffen. Der normale Sonntagsgottesdienst findet zwar statt -auch ohne Putz und Fußboden. "Die Gemeinde ist gut im Improvisieren", sagt ihr neuer Pfarrer Bosco Marschner. Für seine Einführung aber ist die Gemeinde in die evangelische Frauenkirche ausgewichen. Das Hochwasser wird im Einführungs-Gottesdienst nur selten angesprochen. Unterschwellig aber ist es allgegenwärtig, etwa wenn in der Predigt die Rede davon ist, dass es keinen Gottesdienst ohne Menschendienst gibt und dass die Nächstenliebe der Gradmesser der Gottesliebe ist. Am Ende des Gottesdienstes gibt es Grußworte und Geschenke. Etwas Besonderes haben die Bad Hönninger den Grimmaern mitgebracht: ihren Pfarrer. Franz Kiefer wird für vier Wochen zu ihnen kommen -als Notfallseelsorger.

Inzwischen hat Kiefer seine ersten Tage hinter sich. Das "mulmige Gefühl" vom Anfang hat sich gelegt, aber: "Die Situation der Menschen ist viel schlimmer als ich sie mir vorgestellt habe." Warum? "Ich war gerade bei einer Familie, die in einem Zimmer haust, ohne Putz an der Wand, mit einem Bett in der Mitte und einem einzigen Koffer mit den Dingen, die sie retten konnten." Und Schwester Benigna Hahn, die Pfarrhelferin in Grimma, ergänzt: "In den Tagen nach dem Hochwasser haben die Menschen gedacht, dass sie bis Weihnachten wieder in ihren Häusern wohnen können. Inzwischen ist vielen klar, dass das bis weit ins nächste Jahr dauern kann. Und damit schwindet die Hoffnung und neue Fragezeichen entstehen."

Und was kann Kirche tun? Mit den Menschen hier zusammen leben und sich ihnen als Gesprächspartner anbieten. Für Pfarrer Kiefer ist das Mission: "Mission hieß früher, die Seele zu retten. Hier und heute geht es darum, den ganzen Menschen und seine Existenz zu retten." Dazu gehört auch die finanzielle Hilfe, die die Gemeinde dank vieler Spender leisten kann. Ein Spendenbeirat entscheidet, wem mit dem Geld geholfen wird. Nach wie vor gibt es fast täglich Anfragen: Ein Ehepaar hat bei der Feier der goldenen Hochzeit gesammelt. Anderswo will man ein Benefizkonzert veranstalten. Pfarrer Marschner: "Ich bin dankbar, dass der Spendenfluss bisher nicht abgerissen ist."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 46 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 14.11.2002

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