Mose-Projekt soll Menschenleben retten
Bistum Erfurt bietet Möglichkeit der "anonymen Geburt"
Erfurt (kna/tdh) - Schwangere in extremer Not, die in Erwägung ziehen, ihr Kind abzutreiben, sollen künftig in Thüringen die Möglichkeit erhalten, ihr Baby anonym zur Welt zu bringen und abzugeben. Dies kündigte Bischof Joachim Wanke am 11. Januar vor Journalisten in Erfurt an. "Es darf einfach nicht sein, dass eine Frau ihr Neugeborenes aus Verzweiflung tötet", sagte der Bischof im Hinblick auf einen entsprechenden Fall im Dezember in Thüringen. Zugleich forderte der Bischof eine Änderung des Abtreibungsrechtes in Deutschland. Der "Skandal der Spätabtreibung" bis kurz vor der Geburt bei einer Behinderung des Kindes müsse ausgeschlossen werden. Im Übrigen müsse untersucht werden, ob mit dem Gesetz tatsächlich ein Beitrag zu "umfassendem Lebensschutz" geleistet wird.
Derzeit würde die Kirche mit den zuständigen staatlichen Ämtern nach Möglichkeiten suchen, verzweifelten Frauen in schwieriger Situation eine anonyme Geburt und / oder die Abgabe des Babys zu ermöglichen, so der Bischof. Vorbild ist das Mose-Projekt im bayerischen Amberg. Noch in diesem Jahr sollen in der Landeshauptstadt Erfurt entsprechende Möglichkeiten geschaffen werden. Die Daten der Frauen werden nicht erfasst, die Babys in die Hände von Pflege- und Adoptiveltern gegeben. "Die Anonymität der Frauen bleibt gewahrt", versicherte Diözesan-Caritasdirektor Bruno Heller.
Obgleich seit 1. Januar seitens der Caritas-Beratungsstellen keine Beratungsscheine mehr ausgestellt werden, will die Caritas ihr Beratungsangebot aufrecht erhalten und sogar intensivieren. Unter der Bezeichnung "Beratungsstelle für Schwangere und Familien" bieten die Einrichtungen in Erfurt, Gotha, Heiligenstadt, Nordhausen und Suhl (bisher Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen der Caritas) mit acht - bisher waren es sieben - Beraterinnen ihre Unterstützung an. So zum Beispiel durch die Unterstützung bei der Durchsetzung gesetzlicher Ansprüche, durch den Aufbau von Babysitterdiensten und die Vermittlung zu anderen Fachdiensten wie etwa der Erziehungs- und Lebensberatung. Weiterhin kann betroffenen Frauen finanzielle Unterstützung aus der Bundesstiftung "Mutter und Kind" und der Landesstiftung "Nothilfe für die Familie - Hilfe für schwangere Frauen in Not in Thüringen" vermittelt werden.
Der Leiter des Katholischen Büros Erfurt, Winfried Weinrich, teilte mit, das Land werde die Stellen als "Ehe- und Familienberatung" weiter fördern, jedoch in geringerem Umfang. So könne das Bistum im Gegensatz zur bisherigen 97-prozentigen Förderung mit 20 Prozent Zuschüsse zu den diesjährigen Gesamtkosten von rund 550 000 Mark rechnen. Die Differenz von rund 450 000 Mark müsse das Bistum selbst aufbringen. Dies solle durch "Umschichtungen" möglich werden.
Weinrich kündigte auch die Gründung eines "Bischöflichen Hilfsfonds für Schwangere und Familien" an. Jährlich sollen aus daraus erwirtschafteten Zinserträgen 30 000 bis 40 000 Mark an Frauen in Not vergeben werden können. Zu dem von Katholiken gegründeten Landesverband Donum Vitae, der in Erfurt, Heiligenstadt und Suhl weiter Beratungen mit Ausstellung eines Beratungsscheines zur straffreien Abtreibung anbieten will, sagte Weinrich, das Bistum respektiere das Engagement des Verbandes. Eine Zusammenarbeit sei aber nicht möglich.
Trotz der langen, auch innerkirchlichen Auseinandersetzungen um den Ausstieg der katholischen Kirche aus dem staatlichen System der Schwangerenberatung ist die Zahl der Ratsuchenden nach Angaben des Bistums nahezu konstant geblieben. In den Jahren 1998, 1999 und 2000 hätten jeweils rund 1100 Frauen erstmalig die Beratungsstellen der Caritas aufgesucht. Rund ein Viertel der Frauen seien mit der Entscheidung gekommen, die Schwangerschaft abzubrechen. 1999 haben nach Bistumsangaben 267 den Schein zum straffreien Abbruch angenommen. 50 seien ohne Schein gegangen. Im Jahr 2000 lägen die Zahlen ähnlich. Nur ein Viertel der Rat Suchenden sei konfessionell gebunden gewesen.
Gründe, die Beratungsstelle aufzusuchen seien die finanzielle Situation, Angst vor der Zukunft und Arbeitslosigkeit gewesen, teilte Caritasdirektor Heller mit. Nur 40 Prozent der Rat Suchenden hätten Einkünfte aus Erwerbstätigkeit gehabt, weitere 30 Prozent hätten Leistungen des Arbeitsamtes erhalten, 20 Prozent seien von Sozialhilfe und 20 Prozent von Unterhaltsleistungen abhängig gewesen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 21.01.2001