Was dürfen Mitarbeiter wissen?
Neue Betriebsverfassung für 700 000 Dienstnehmer in kirchlichen Einrichtungen umstritten
Bonn/Osnabrück - Es geht um Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Erzieherinnen und Ärzte: Ihre Vertretung gegenüber dem Dienstgeber Kirche soll eine neue Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) regeln, die nun nach langem Ringen so gut wie unter Dach und Fach ist. Sie soll der Dienstgemeinschaft Kirche mit ihren rund 700 000 Dienstnehmern eine neue Zukunft weisen. Doch auf Mitarbeiterseite herrscht Enttäuschung. Von einem "völligen Glaubwürdigkeitsverlust" der Kirche spricht Günter Däggelmann von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen.
Die Knackpunkte aus Sicht der Dienstnehmer: Seit Jahren fordern sie - allerdings vergeblich -, über Anhörungen hinaus am Gesetzgebungsprozess beteiligt zu werden. Zudem werden ihre Wünsche nach Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten nicht verwirklicht. Nach Däggelmann hält sich die Kirche daher nicht an die eigene Soziallehre, ihre Mitarbeiter würden gegenüber den Arbeitnehmern in der freien Wirtschaft "massiv benachteiligt".
Keine Mitbestimmung in Tendenzbetrieben
Rechtsexperten wie der Bonner Staatskirchenrechtler Professor Wolfgang Rüfner teilen eine solche Einschätzung nicht. Der Erlass einer Mitarbeitervertretungsordnung sei nun einmal Sache des Gesetzgebers, in diesem Fall der Kirche, beziehungsweise der Bischöfe. Eine Mitwirkung an Gesetzgebungsverfahren, die über eine Anhörung hinausgehe, könne es rechtlich gar nicht geben, sagt Rüfner im Gespräch mit dieser Zeitung. Das sei auch im staatlichen Bereich nicht anders. Hier wie in der Kirche gebe es keine Gesetzgebung auf dem Wege der "Vereinbarung". Eine "echte Mitbestimmung" sei zudem auch in der freien Wirtschaft nur in sehr großen Betrieben gegeben, widerspricht Rüfner der Ansicht, kirchliche Mitarbeiter würden benachteiligt. Vom staatlichen Betriebsverfassungsgesetz werde Mitbestimmung in "Tendenzbetrieben" - das sind neben konfessionellen Einrichtungen zum Beispiel auch Parteien und Gewerkschaften - sogar ausdrücklich ausgeschlossen.
Insgesamt bescheinigt Rüfner seinem Kölner Kollegen Gregor Thüsing, der mit der Ausformulierung der neuen kirchlichen Vertretungsordnung beauftragt war, eine "gute Arbeit". Es sei der Versuch gemacht worden, anstelle des bisher geltenden Personalvertretungsrechtes, das den wirtschaftlichen Teil der Betriebe überhaupt nicht sehe, die Mitarbeitervertretungsordnung an das staatliche Betriebsverfassungsgesetz anzulehnen. Da zum Beispiel zahlreiche Betriebe der Caritas unter dem Konkurrenz- und Kostendruck des Marktes wirtschaftlicher geführt werden müssten, sei diese Anlehnung auch sachgerecht. Wo allerdings nur noch nach erwerbswirtschaftlichen Kriterien gearbeitet werde, schränkt Rüfner ein, sei auch die sogenannte Dienstgemeinschaft - ansonsten keine Frage der Rechtsform einer Einrichtung - nicht mehr zu halten. Rüfner: "Solche Einrichtungen fallen aus dem kirchlichen Arbeitsrecht heraus."
Die neue Vertretungsordnung, sofern sie denn von den Bischöfen im Mai 2003 verabschiedet wird, räumt den Mitarbeitern durchaus Informationsrechte zur wirtschaftlichen Seite ihrer Einrichtungen ein. Diese "Informationspflicht" nennt Hans-Jürgen Dicke, Vorsitzender der "Diözesanen Arbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretungen" (DiAG-MAV) im Bistum Osnabrück, einen "ersten Schritt in die richtige Richtung". Ziel bleibe aber die "qualifizierte Mitbestimmung in dieser Frage", unterstützt Dicke im Grundsatz die Zielrichtung der Bundesarbeitsgemeinschaft. Von den 185 Mitarbeitervertretungen im Bistum Osnabrück arbeiteten zehn Prozent in größeren, marktorientierten Einrichtungen und könnten "das Instrument Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten effektiv nutzen".
Diözesen wie Osnabrück gelten der Bundesarbeitsgemeinschaft nach eigener Einschätzung als Hoffnungsträger ihrer Forderungen. Aloys Raming-Freesen, als Abteilungsleiter Personal und Organisation im Bistum Osnabrück in der Funktion des Dienstgebervertreters, bestätigt: "Wir wollen hier keine Hardliner-Positionen, nach denen Mitarbeitervertreter keine Informationen bekommen." Das, was nunmehr an möglichen Informations- und Beteiligungsrechten im Verband der deutschen Diözesen diskutiert werde, sei im Bistum Osnabrück schon auf dem Weg. "Wir haben mehrere Pilothäuser, in denen alle Beteiligten einen Austausch von Informationen über die wirtschaftlichen Angelegenheiten für möglich halten." Mitbestimmung dergestalt, dass Mitarbeitervertreter einen Sitz in den Steuerungsgremien der Betriebe wie Kuratorien erhielten, kann sich aber auch Raming-Freesen nicht vorstellen.
Aktives und passives Wahlrecht bei Teilzeit
Bernhard Urban, Geschäftsführer der DiAG-MAV in Osnabrück, begrüßt auf Anfrage die Ausweitung des Wahlrechts auf befristet Beschäftigte. Zudem könnten sich nun auch Mitarbeiter, die unterhalb einer Halbtagsstelle arbeiten, als Kandidaten aufstellen und wählen lassen. Nicht wenige Küster und Pfarrsekretärinnen seien davon berührt. Neu ergebe sich auch die Möglichkeit, für mehrere Rechtsträger eine Mitarbeitervertretung zum Beispiel in Gemeindeverbünden zu wählen. Durch all dies , so hofft Urban, ließen sich vielleicht auch viele weiße Flecken in der Landschaft der kirchlichen Mitarbeitervertretungen schließen.
Gerrit Schulte/kna
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 14.11.2002