Soziales Netz mit großen Maschen
Caritas befürchtet weitere Kürzungen
Deutschland steckt in einer tiefen Finanzkrise. Weniger Steuern, schleichendes Wirtschaftswachstum, kein Geld in den Kassen des Bundes, der Länder und Kommunen. Auswirkungen hat dies vor allem auf die Sozialarbeit der freien Träger wie Caritas und Diakonie. In Thüringen zum Beispiel hat der Freistaat massiv in der Suchtberatung gestrichen. Darüber und über die Zukunft der Sozialarbeit sprach der TAG DES HERRN mit dem Diözesan-Caritasdirektor des Bistums Erfurt, Bruno Heller.
Frage: Kosten rauf, Förderungen runter, die Wirtschaft stagniert, die Steuerschätzungen sind negativ. Wie fühlt man sich heute als Leiter der Caritas in einem deutschen Bistum?
Heller: Nicht gut. Von allen Seiten kommen in den letzten Wochen und Tagen Negativmeldungen: Geringere Steuereinnahmen, Sparmaßnahmen, Zahlen mit einem Minuszeichen davor. Es wird weniger. Das ist abhängig von vielen Faktoren. Was mich als Caritasdirektor besorgt macht ist, dass in der Folge vor allem im sozialen Bereich gekürzt wird. Es besteht die Gefahr, dass das in den letzten Jahren aufgebaute Netz sozialer Hilfen für Bedürftige wesentlich größere Maschen bekommt und dass mehr Menschen durch diese Maschen fallen als bisher.
Frage: In Thüringen hat das Land konkret bei der Suchtberatung gekürzt. Welche Auswirkungen hat dies nun, zum Beispiel auf die Mitarbeiter?
Heller: Wir sind in Thüringen durch die Haushaltssperre in der Tat kalt erwischt worden. Das hat stark im Suchthilfebereich durchgeschlagen. Hier haben wir für jede Personalstelle exakt 23,6 Prozent weniger Geld zur Verfügung. Ganz genau fehlen uns 27 200 Euro in diesem Jahr -die bekommen wir auch nirgendwo mehr her. Das Land verweist auf die Kommunen, die aber aufgrund leerer Kassen ebenfalls nicht in der Lage sind, zu zahlen. Nachtragshaushalte werden nicht mehr beschlossen, und es ist auch kein Kapital mehr da, um das zusätzlich zu finanzieren, ohne Kredite aufnehmen zu müssen. Im nächsten Jahr sollen die Pauschalen noch einmal gekürzt werden, wie wir inzwischen wissen -für die Suchtberatung bedeutet das eine Kürzung um dann insgesamt 37,5 Prozent. In diesem Jahr müssen wir die Kosten selbst ausgleichen. Wir sind unseren Mitarbeitern gegenüber verantwortlich, müssen also an die Strukturen herangehen und die Stellen so anpassen, dass die Finanzen ausreichen. Mit den Kommunen wollen wir auch noch einmal reden. Die Aussagen des Landes deuten aber auch darauf hin, dass die Beratung in der Suchthilfe neu konzipiert werden muss - das heißt im Klartext: Reduzierung der Angebote. Mit Entlassungen werden wir aber sehr vorsichtig umgehen, weil unsere Mitarbeiter gute Arbeit leisten und wir, wie gesagt, für sie verantwortlich sind.
Frage: Welche Einschnitte sind wo noch zuerwarten?
Heller: Das sind vor allem Einschnitte bei Beratungsstellen für Behinderte, um etwa zehn Prozent im nächsten Jahr. In der Psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle im Eichsfeld sind die Förderungen schon seit drei Jahren eingefroren. Das ist deswegen schwierig, weil wir Tarife zahlen und damit auch an Steigerungsraten gebunden sind. In einer Stadt wie Jena können wir eine Stelle in der Allgemeinen Sozialen Beratung nicht mehr besetzen. Das Ganze treibt auf einen kritischen Punkt zu, so dass wir unsere Angebote durchforsten und uns fragen müssen, was Priorität hat. Neue Finanzquellen zu erschließen ist so gut wie unmöglich. Spenden sind zweckgebunden und dienen nicht dazu, Aufgaben des Landes oder der Kommunen zu subventionieren.
Frage: Wie lassen sich die Probleme politisch lösen?
Heller: Die Sparmaßnahmen treffen nicht nur uns, sondern alle Wohlfahrtsbände. Wir versuchen mit der Politik im Gespräch zu bleiben. Gute Partnerschaft ist wichtig, deshalb darf der Dialog nicht aufhören.
Interview: Andreas Schuppert
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 11.12.2002