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Urlaub als Zeit des Helfens

Helga Krüger arbeitet im Hort Kieselwitz

Kieselwitz - Anderen Menschen in besonderen Situationen behilflich sein, ihnen zeigen, dass das Leben immer weitergeht, auch wenn der Weg noch so steinig ist: Das hat sich Helga Krüger als Aufgabe gestellt - zusätzlich zu ihrem beruflichen Engagement als Erzieherin im Schulhort Fünfeichen.
Die Entscheidung beruht auf einem Schlüsselereignis: 1994 fährt die Mutter zweier Kinder zum Badeurlaub nach Thailand. Auf der Wassserrutsche hält ihr Hintermann zu wenig Abstand, die damals 38-Jährige bricht sich im flachen Becken die Wirbelsäule. Zwei Tage später stirbt ihre Mutter an Krebs.
Für Helga Krüger selbst beginnt eine "Zeit der Rehabilitation." Menschen, denen es gelingt, sie aufzumuntern, werden ihr in dieser Zeit sehr wichtig. 1996 trifft sie auf einen Mitarbeiter des Malteser-Hilfsdienstes. Sie empfindet diese Begegnung als wegweisend für ihre Zukunft, schließt sich noch im selben Jahr der Cottbuser Gruppe dieser Organisation an, ist dort heute in der Hospizarbeit tätig, gibt Erste-Hilfe-Kurse und begleitet seit 1997 die Cottbuser Malteserjugend jeden Sommer ins Bundesjugendlager.

Auch privat engagiert sich die Kieselwitzerin für andere: Gemeinsam mit einer befreundeten Familie unterstützt sie regelmäßig eine Schule für behinderte Kinder in Gubin, dem polnischen Teil Gubens. Durchschnittlich einmal im Monat bringt sie Kleidung, Möbel, Gardinen, Bettbezüge, Waschmaschinen oder Bastelmaterial und Schokolade für die Kinder mit dem Auto dorthin.
Mittlerweile, erklärt sie, sei sie beim Zoll bereits bekannt. Ohne dessen Mittun wären solche Transporte nämlich nicht möglich. Zweimal waren auch schon polnische Lehrkräfte zu einem Arbeitsbesuch in Deutschland, um die Behinderteneinrichtungen in Fürstenwalde und Neuzelle zu besichtigen. Im Gegenzug erhalten die deutschen Freunde dann Einladungen zum "Tag des Lehrers" oder zur Weihnachtsfeier der polnischen Schule.
Gubin ist aber nicht der einzige Ort in Osteuropa, an dem Frau Krüger versucht, Menschen unter die Arme zu greifen, die "unverschuldet um Hilfe bitten müssen". Drei Wochen lang lebte und arbeitete die Erzieherin im vergangenen Oktober im Sozialzentrum der Gemeinschaft Lumen Christi in Kaliningrad (Königsberg).
Der Anstoß zu dieser außergewöhnlichen Form von Urlaub kam von einem Bekannten aus Münster, Bruder Theo Koenig, der schon länger Spenden für Kaliningrad sammelt. Er schickte Frau Krüger Informationsmaterial über die Arbeit, die deutsche Katholiken dort verrichten. Auf diese Weise erfuhr die Kieselwitzerin, dass Janette Werner aus Dessau in Russland ihr Freiwilliges Soziales Jahr leistete (wir berichteten), und fragte sich: "Warum solltest du nicht auch mal so was machen?"

Gesagt, getan. Anfang 2000 schreibt Helga Krüger einen Brief an die Vertreter von Lumen Christi in Kaliningrad, erkundigt sich, ob sie eine Zeit lang vor Ort mit Hand anlegen könnte. Durch solch einen Aufenthalt hofft sie zudem, wieder ein Stück russischer Kultur und Geschichte, aber auch die Gastfreundschaft dieses Volkes zu erfahren - wie schon bei ihrer ersten Russlandreise 1972.

Ein Vierteljahr lang wartet Frau Krüger vergeblich auf ein Antwortschreiben. Als sie ihren Urlaub soeben anders planen will, trifft der ersehnte Brief ein. Die Lumen-Christi-Mitarbeiter laden sie nach Kaliningrad ein, organisieren das Visum und die Fahrt.

Nach siebeneinhalb Stunden im Auto kommt Frau Krüger übermüdet am Zielort an. Sie erhält ein Gästezimmer im Wohnhaus der deutschen Arbeitskräfte, ihre eigentliche Wirkungsstätte in diesen drei Wochen aber ist die Kleiderkammer: Hier sortiert sie leichte Hosen und Röcke aus und warme Jacken und Pullover für den Winter ein, versorgt die unterschiedlichsten Menschen mit Textilien, die von deutschen Spendern stammen.

Viele Großmütter mit ihren Enkeln bitten um Kleidung, Haftentlassene, die - häufig an Tuberkulose erkrankt - mittellos auf der Straße stehen. Auch zwei kleine Jungen schauten einmal vorbei, um sich Anziehsachen zu holen. "Kommt morgen noch mal wieder", wurden sie auf russisch gebeten, "bis dahin suchen wir euch etwas Passendes heraus." In Wirklichkeit, erklärt Frau Krüger, wollten die deutschen Helfer die beiden "in die Wanne stecken" - in die einzige der ganzen Sozialstation. Rund vier Wochen beträgt gewöhnlich die Wartezeit für solch ein Bad - so viele Obdachlose gibt es in Kaliningrad. Die Straßenjungen allerdings tauchten nicht mehr in der Kleiderkammer auf, zumindest nicht, solange Frau Krüger dort mithalf.

Gleich zweimal kam in dieser Zeit dagegen eine russische Studentin dorthin, nahm zunächst Winterkleidung und ein Paar Schuhe für eine Freundin mit, später Kindersachen für eine junge Familie. Selbst aber lehnte sie jede Hilfe ab - eine Art der Bescheidenheit, die Helga Krüger tief beeindruckte.

Im Gedächtnis geblieben ist ihr auch ein "total heruntergekommener Mann" um die 50. Er grüßte mit den Worten "Guten Tag". Wie sich im Gespräch herausstellte, hatte er studiert und an der Universität Deutsch gelernt.

Eine Frau, erinnert sich Helga Krüger, habe angefangen zu weinen, nachdem sie einige gebrauchte Kleidungsstücke erhalten hatte. Der Grund: Sie konnte sich für sich selbst und für ihre Kinder nichts zu essen leisten. Also packten ihr die Mitarbeiter der Sozialstation ein großes Paket mit Brot, Wurst und Früchten. "Geld", erläutert Frau Krüger, "geben die Helfer grundsätzlich nicht aus." Zu groß sei die Gefahr, dass es zum Kauf von Schnaps oder Wodka verwendet werde, denn Alkoholismus ist weit verbreitet in diesem Gebiet.

Viele Kinder wachsen in Heimen auf, weil ihre Eltern alkoholabhängig sind. Eines dieser Häuser können Tag des Herrn-Leser noch im Rahmen der Adventsaktion 2000 finanziell unterstützen. Die Spenden sind für den Aufbau einer Werkstatt bestimmt.

Ein Kinderheim im Umkreis von Kaliningrad hat auch Helga Krüger besucht. Es ist speziell für tuberkulosekranke Kinder gedacht. Zwar sei der Speisesaal schon "in einem guten Zustand", die Wände gestrichen und Lampen aufgehängt, auch die Lehrer und Erzieher gäben sich große Mühe, dennoch müsse aber noch viel getan werden, schildert Helga Krüger die Situation. Das Dach sei undicht, zahlreiche Fenster kaputt, die Zimmer kalt, weil die Heizung nur schlecht funktioniere.

Trotz der vielen Arbeit, die es dort gebe, habe sie während der Wochen in Kaliningrad immer wieder Ruhe spüren können und Zeit gefunden, über ihr bisheriges Leben nachzudenken, sagt Frau Krüger. Auch steht für sie fest, dass ihr erster "Urlaub" in dieser Hafenstadt nicht der letzte war. Zunächst aber will sie im kommenden Sommer russischen Jugendlichen erstmals die Teilnahme am Bundesjugendlager der Malteser ermöglichen. Die Vorbereitungen dafür laufen bereits.

In Planung ist ferner ein sehr persönliches Ereignis: Helga Krüger möchte sich demnächst firmen lassen. Erst am 16. September 2000 hat die evangelisch getaufte Frau, deren Familie in der DDR ihren Glauben "aus politischen Gründen" nicht lebte, Erstkommunion gefeiert. Eine Wallfahrt nach Lourdes war es, die sie bewegte zu konvertieren. Und viele katholische Christen, "die mich so angenommen haben, wie ich bin, - ohne zu missionieren".

Karin Hammermaier

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 3 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 21.01.2001

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