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Kein Grund zu Selbstbeweihräucherung

Christliche Hauptstadt-Akademien diskutieren Umgang der Kirchen mit DDR-Vergangenheit

Noch immer aktuell: Der Umgang der Kirchen mit der DDR-Vergangenheit und ihr Verhältnis zur Stasi ist noch immer ein Thema. Das zeigte eine Veranstaltung der Hauptstadt-Akademien.

Berlin (rc / tdh) -Stasi-Enthüllungen, die Kirchenleute betrafen, hatten immer eine schockierende Wirkung. Denn den Kirchen vertrauten die Menschen. "Hat man den Bock zum Gärtner gemacht?", fragte die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, Marianne Birthler. Anlass war eine gemeinsame Veranstaltung der Evangelischen und der Katholischen Akademie in Berlin. Der Umgang der Kirchen mit der DDR-Vergangenheit erwies sich dabei auch zwölf Jahre nach dem Untergang des SED-Staates noch als ein zündendes Thema. Zweieinhalb Stunden stritten sich auf dem Podium die früheren Bürgerrechtler Ulrike Poppe, Marianne Birthler sowie Konrad Weiß mit dem evangelischen Theologieprofessor und SPD-Politiker Richard Schröder und dem katholischen Domkapitular Karl- Heinz Ducke aus Jena über den Umgang der Kirchen mit der DDR und ihrer damaligen Rolle.

Für Marianne Birthler, die ehemalige evangelische Katechetin vom Berliner Prenzlauer Berg, ist die Sache klar: Es wurde bisher meist "nur oberflächlich" über die Rolle der Kirchen in der DDR diskutiert. Nach Angaben der heutigen Bundesbeauftragten wurden rund 14 000 Mitarbeiter der evangelischen Kirche und über 800 der katholischen Kirche auf eine Stasi- Mitarbeit hin unter die Lupe genommen. Bei 6,3 Prozent der evangelischen Kirchenmitarbeiter (Stand 1995) und bei 3,6 Prozent der katholischen Mitarbeiter (Stand 1994) hätten die Überprüfungen ihrer Behörde eine Kollaboration mit der Stasi ergeben. Die Kirchen hätten ihre Verstrickungen mit dem Staatssicherheitsdienst gründlicher als alle anderen gesellschaftlichen Bereiche untersuchen lassen, lobte Birthler. Allerdings seien disziplinarische Konsequenzen von ihnen erst auf öffentlichen Druck hin gezogen worden, schränkte sie ein. Zunächst hätten die Kirchen versucht, durch "Ehrenerklärungen" und eine "rein seelsorgerliche Aufarbeitung" das Ausmaß der Stasi-Verquickung zu "vernebeln". Auf keinen Falll hätten sie Grund zu einer "Selbstbeweihräucherung".

Unter dem Mantel christlicher Nächstenliebe

Besonderes Unbehagen bereitet Marianne Birthler offensichtlich auch noch heute die umstrittene Rolle des ehemaligen Konsistorialpräsidenten der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und heutigen Bundesministers Manfred Stolpe. Ein kirchlicher Voruntersuchungsausschuss habe ihn zwar für belastet erklärt und Rechtsverstöße festgestellt, ihm aber eine "insgesamt positive Rolle" bescheinigt, so dass es zu keinem Verfahren gekommen sei. Birthler war 1992 aus Protest gegen Stolpes Verbleiben im Amt des brandenburgischen Ministerpräsidenten als Bildungsministerin in diesem Bundesland zurückgetreten.

Mit Kritik geizte auch der katholische Publizist und Mitbegründer der Bürgerbewegung "Demokratie jetzt" Konrad Weiß nicht. Trotz größerer Distanz zum sozialistischen Staat habe die katholische Kirche über vieles "den vermeintlichen Mantel christlicher Nächstenliebe" gebreitet. Er sei darum "fatal an den Umgang mit dem Nationalsozialismus erinnert" worden. Ein Schuldbekenntnis, ähnlich dem Stuttgarter Schuldbekenntnis der evangelischen Kirche nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes, hätten nach seiner Meinung den beiden großen christlichen Kirchen gut angestanden. Nachdrücklich wehrte sich Weiß gegen die Engführung der Diskussion auf das Thema Stasi. "Die Verantwortung hatte die SED. Die Stasi war nur der Handlanger", sagte er.

Für ein Schuldbekenntnis der Kirchen sprach sich auch die Bürgerrechtlerin und heutige Studienleiterin der Evangelischen Akademie, Ulrike Poppe, aus. Eine Lehre für die Zukunft könne es sein, den kirchlichen Auftrag und politische Interessen klar voneinander zu trennen.

Nichts von einem Schuldbekenntnis wollte dagegen Richard Schröder wissen. Selbstbewusst sagte der Theologe: "Ich wollte nicht ins Gefängnis und schäme mich auch nicht dafür." Überhaupt finde er die Lage der Kirchen in der DDR gar nicht so schlecht. Sie hätten sich mehr innere Unabhängigkeit bewahren können als die Kirchen in den anderen Ostblockstaaten, Polen ausgenommen.

Menschen gegen DDR-Ideologie immunisiert

Der Jenaer Pfarrer Karl-Heinz Ducke, viele Jahre Regens des Erfurter Priesterseminars, berichtete von seiner Freude, wenn er in den Stasi-Akten las: "Es gelang wieder nicht, einen IM im Priesterseminar zu gewinnen." Die Kirchen hätten die Machtstrukturen in der DDR nicht ändern können, stellte Ducke fest, der einer der Moderatoren des zentralen Runden Tisches in der Wendezeit war. Wohl aber hätten sie durch die befreiende Botschaft Jesu Christ "Menschen gegen die staatliche Ideologie immunisiert" und so selbstständiges Denken ermöglicht.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 47 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 11.12.2002

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