"Welche Kirchen werden noch gebraucht?"
In vielen Bistümern wird an Sparkonzepten gearbeitet - McKinsey gut im Geschäft
Berlin -Am härtesten hat es sicherlich Berlin getroffen: 75 Millionen Euro Schulden belasten die Kasse des Erzbistums in der Hauptstadt (siehe Nr. 44 dieser Zeitung vom 3. November). Seitdem vor knapp einem Monat die Bistumsleitung mit der schlechten Nachricht die Öffentlichkeit überraschte, wird nicht nur unter Berlins Katholiken munter über Sparmaßnahmen spekuliert. Personalabbau, Zusammenlegung von Pfarrgemeinden, Aufgabe von Kirchgebäuden. Nichts scheint mehr unvorstellbar angesichts einer akuten Haushaltskrise, die auch hausgemachte Ursachen hat. Den gefährlichen Weg in die Verschuldung hat allerdings nicht allein das Erzbistum Berlin beschritten: 4,5 Millionen Euro will sich das Bistum Eichstätt in diesem Jahr bei den Banken leihen. So hat es gerade der Diözesansteuerausschuss in der bayerischen Bischofsstadt beschlossen.
Berlin: Alles kommt auf den Prüfstand
In Berlin ist mittlerweile die Unternehmensberatung McKinsey dabei, im Haushalt des Erzbistums nach Sparmöglichkeiten zu suchen. "Alles kommt auf den Prüfstand", kündigte Generalvikar Peter Wehr an. Beobachter schließen selbst Entlassungen nicht ganz aus. Die gerne als harte Sanierer beschriebenen McKinsey-Berater kennen sich aus in Sachen katholische Kirche. Vor zwei Jahren nahmen sie kostenlos das Sekretariat der Bischofskonferenz unter die Lupe - eine Inves-tition, die sich zumindest für die Unternehmensberater selbst gelohnt hat. Denn wenig später folgten Aufträge aus den Bistümern Osnabrück und Mainz. Schon zuvor hatte McKinsey das angeschlagene Ruhrbistum Essen beraten.
Immer seltener gelingt es offensichtlich den Bistümern in Deutschland, nur soviel Geld auszugeben, wie sie auch einnehmen. Um Ausgaben und Einnahmen auszugleichen, sehen sich die bischöflichen Finanzverwalter dann gezwungen, in die eigene Rücklage zu greifen oder den Weg zur Bank anzutreten. Diese Entwicklung hat Ursachen: Die katholische Kirche verliert Mitglieder - 300 000 alleine in den zwei Jahren von 1998 bis 2000. Und die Taufzahlen versprechen wenig Gutes für die kommenden Jahre. Die Kirchensteuereinnahme leidet zudem unter der schlechten Konjunktur, einer schlingernden Steuerpolitik und vor allem unter der Massenarbeitslosigkeit. Immer schwerer wird so für die bischöflichen Verwaltungen, alles das zu finanzieren, was in besseren Jahren an Einrichtungen und Strukturen aufgebaut worden ist. Vor allem die vielen Mitarbeiter kosten Geld. 70 bis 80 Prozent eines durchschnittlichen Bistumshaushalts gehen für die Personalkosten drauf - Kosten, die tarifbedingt jährlich weiter steigen. Wenn nicht gegengesteuert wird, so etwa die Warnung von McKinsey an das Bistum Osnabrück, droht dem Haushalt eine dauerhafte Deckungslücke. Da reicht dann auch das "Gesparte" aus den guten Jahren nicht mehr: "Wenn alles so bleibt wie bisher, dann reichen die Finger einer Hand, um nachzuzählen, wann wir unsere Rücklagen aufgebraucht haben", sagt Claudia Leimkühler, Finanzdirektorin im Erzbistum Hamburg. Mit Einzelentscheidungen, so ihre Meinung, sei der "Finanzkollaps" nicht mehr zu verhindern.
In vielen Bistümern wird derzeit an Konzepten zur Haushaltssanierung gearbeitet. Angesichts eines Defizits von zehn Millionen Euro allein in diesem Jahr kündigte etwa das Bistum Limburg die Auflösung aller kirchlichen Bezirksämter und die Zusammenlegung von Gemeinden an. Langfristig soll zudem der Gebäudebestand um ein Viertel reduziert werden. Im Bistum Rottenburg-Stuttgart sind alle Hauptabteilungen aufgefordert, noch in diesem Monat Sparvorschläge in Höhe von insgesamt sechs Millionen Euro zu machen. Angeregt durch das McKinsey-Gutachten will sich das Bistum Osnabrück unter anderem von Bausubstanz trennen, Immobilien wirtschaftlich besser verwerten und das Risiko aus dem Betrieb sozialer Einrichtungen wie Krankenhäuser mindern. Gleichzeitig will sich die Kirche von Osnabrück stärker um die Kirchensteuerzahler kümmern und ihre "niedrigschwelligen" Angebote ausbauen. Und angesichts des großen Reparaturbedarfs an Gebäuden fragt nicht nur Helmut Müller, Finanzdirektor im Bistum Hildesheim: "Welche Pfarr- und Gemeindehäuser, welche Kirchen werden in Zukunft wirklich noch gebraucht?"
370 Personalstellen im Ruhrbistum abgebaut
Sparen lohnt. Dies hat das Bistum Essen demonstriert. Mitten im gebeutelten Ruhrgebiet gelegen, sah sich die Kirche hier schon früh zu Notmaßnahmen gezwungen. 33 Millionen Euro sind mittlerweile eingespart, 370 Personalstellen abgebaut. Im kommenden Jahr wird der Bistumshaushalt um weitere 2,8 Millionen Euro zurückgefahren. Und das ist auch nötig: Erstmals rutschte die Zahl der Katholiken im Ruhrbistum mit 988 000 in diesem Jahr unter die Millionengrenze.
Zum Sparen gibt es also keine Alternative - nicht nur im Bistum Essen. Sollten bislang angekündigte Maßnahmen nicht reichen, dann drohten sogar Entlassungen von Mitarbeitern, meint Rottenburgs Finanzsdirektor Gerold Gutmann. Er will diese Aussage ausdrücklich als "Wink mit dem Zaunpfahl" verstanden wissen.
Bernhard Remmers/kna
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 11.12.2002