Viele wollen der Einsamkeit entfliehen
Heiligabend bei der Telefonseelsorge
Cottbus (mim) -"Ich weiß ja gar nicht, ob ich Sie heute damit behelligen kann", klingt eine leise Stimme ganz zaghaft aus dem Telefonhörer. "Aber wissen Sie...Ich würde so gern mit jemandem reden. Doch niemand denkt an mich -nicht einmal heute, wo doch Weihnachten ist." -"Ich höre Ihnen gern zu. Erzählen Sie nur", antwortet Christel N., ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der Telefonseelsorge Cottbus.
Es ist Heiligabend. Draußen ist es bereits dunkel geworden und die Straßen sind menschenleer. Christel N. sitzt in einem kleinen Raum in einem Haus in Cottbus, den Telefonhörer dicht an ihrem Ohr. Eine ältere Dame ist am Telefon. Traurig erzählt sie, wie einsam sie sich fühlt. Dass sie Kinder und sogar Enkelkinder hat, aber dennoch an Weihnachten allein sein muss. Sogar einen wunderbar geschmückten Weihnachtsbaum habe sie in ihrer Wohnung, aber niemand kommt, um ihn sich anzusehen.
So oder ähnlich beginnen viele Gespräche, die an den Festtagen bei der Telefonseelsorge eingehen. "Weihnachten ist nicht die Zeit der Anrufe von Menschen mit psychischen Problemen oder von Selbstmord-Gefährdeten", sagt Iris Schulz, ebenfalls Mitarbeiterin bei der Telefonseelsorge und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. "Das ist eher im November der Fall. Zu Weihnachten bekommen wir gehäuft Anrufe von Einsamen. Da melden sich Mütter, die traurig sind, dass ihre bereits erwachsenen Kinder keine Zeit für sie finden, oder ältere Menschen, die wirklich niemanden mehr haben."
24 Stunden am Tag können Rat Suchende bei der Telefonseelsorge anrufen. Ein gemeinsamer Dienstplan der Standorte in Cottbus und Frankfurt (Oder) ermöglicht es, dass rund um die Uhr ein Ehrenamtlicher am Telefon sitzt. Damit gehört die Telefonseelsorge Cottbus / Frankfurt (Oder) zu den rund 160 Telefonseelsorge- Stellen bundesweit, die unter einer offiziellen und gebührenfreien Nummer zu erreichen sind.
Finanziert wird die ökumenische Telefonseelsorge Cottbus / Frankfurt (Oder) vom Diako- nischen Werk Niederlausitz und von der Caritas-Kreisstelle Cottbus. Ebenso bestreiten Vertreter der Caritas und des Diakonischen Werks gemeinsam die Geschäftsführung, da "Seelsorge von beiden Kirchen gleichermaßen gefördert werden sollte", wie Bernd Lattig, Caritas-Kreisstellenleiter in Cottbus, betont. "Einer Kirche müssen unsere Ehrenamtlichen nicht angehören", sagt die Öffentlichkeitsbeauftrage Schulz. "Allerdings erwarten wir, dass unsere Telefonseelsorger Glaubensfragen gegenüber offen sind. Es kommt nämlich des Öfteren vor, dass Anrufer wünschen: ,Bitte beten Sie mit mir'. Auch darauf müssen unsere Mitarbeiter fundiert reagieren können."
"An Weihnachten wollen die Anrufer meist nur die Zeit der Einsamkeit überbrücken," weiß die Telefonseelsorgerin Christel N. aus Erfahrung zu erzählen. "Viele reden sich einfach alles von der Seele und ich höre zu. Oft kommt es vor, dass sie sich dann an Weihnachtsabende aus ihrer Kindheit erinnern. Wie schön diese waren und wie viel ihnen dieses besondere Fest immer bedeutet hat."
Auch in diesem Jahr wird Christel N. am Heiligabend einige Stunden am Hörer verbringen. Und dann wird sie sicherlich wieder am Ende eines langen Gespräches hören: "Ich danke Ihnen, dass es Sie gibt. Jetzt kann ich die Zeit besser überstehen. Ich werde mir nun einen Tee machen, die Kerzen am Weihnachtsbaum anzünden und an Sie denken."
Die Telefonseelsorge ist
bundesweit und gebührenfrei
erreichbar unter:
(08 00) 1 11 01 11 (evangelisch)
(08 00) 1 11 02 22 (katholisch)
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 19.12.2002