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Aus der Region

Kontroverse um Krieg und Frieden

Christliche Spitzenpolitiker geben exklusiv in dieser Zeitung Auskunft: Bundestagspräsident Wolfgang

Vier Fragen

1. Haben Sie persönlich Angst vor einem Krieg?

2. Die Kirchen haben klar gegen einen Krieg im Irak gesprochen. Gehört es zur Freiheit des Christenmenschen, dem zu widersprechen und einen militärischen Einsatz zu rechtfertigen?

3. Kann die Staatengemeinschaft auf den Einsatz militärischer Mittel verzichten, wenn Diktatoren über Massenvernichtungswaffen verfügen?

4. Fördert ein Krieg den befürchteten Kampf der Kulturen zwischen westlich-christlicher und islamischer Welt?

Frage: Haben Sie persönlich Angst vor einem Krieg?

Thierse: Ja, ich bin schließlich ein normaler Mensch. Und ich weiß, was Krieg bedeutet: Immer auch menschliches Leid. Unter dem schlimmen Wort "Kollateralschaden" verbergen sich ja nicht nur Zerstörungen von Gebäuden und Technik, sondern Zerstörungen menschlichen Lebens.

Merkel: Kein Mensch will einen Krieg. Und man muss natürlich die Sorgen der Menschen in dieser Frage ernst nehmen. Ich glaube aber, dass Angst keine Kategorie sein darf, in der man als verantwortlicher Politiker denken sollte. Fakt ist doch, dass vom Irak eine Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen ausgeht. Das ist eine Bedrohung, die uns alle angeht, sei es Europäer oder Amerikaner. Wir als Union haben eine klare Haltung: Die internationale Staatengemeinschaft muss unmissverständlichen Druck auf das Regime Saddam Husseins ausüben. Wenn eine friedliche Entwaffnung des Irak nicht gelingt, dann kann in letzter Konsequenz ein militärisches Vorgehen notwendig werden. Aber immer nur als letztes unausweichliches Mittel.

Frage: Die Kirchen haben klar gegen einen Krieg gesprochen. Gehört es zur Freiheit des Christenmenschen, dem zu widersprechen und einen militärischen Einsatz zu rechtfertigen?

Thierse: Natürlich sind Christen immer auch frei, zumal in einer liberalen Gesellschaft, ihre Meinung zu äußern. Als Christen haben sie die Pflicht, ihre Ansichten an der biblischen Botschaft, den Aussagen der Kirchen und dem eignen Gewissen zu messen. Wenn ich an die Äußerungen des Papstes und der Bischofskonferenz denke, wenn ich an die Bergpredigt denke, "Selig sind die Friedensstifter", und wenn ich an unsere eigene deutsche und europäische Erfahrung mit dem Krieg denke, dann sollte es nicht so leicht fallen, Krieg zu rechtfertigen. Zumal in einer Situation, wo es nicht um einen Verteidigungskrieg geht, nicht um die Abwehr eines Angriffs, sondern wo die Alternative ist, entwaffnen wir diesen schlimmen Diktator mit Krieg oder ohne Krieg. Ich bin dafür, dass wir wirklich alles versuchen, die Entwaffnung ohne Krieg zu erreichen. Inzwischen gewöhnt sich die veröffentlichte Meinung daran, dass nur noch Krieg realistisch sei. Ich meine, ein Kriegsfatalismus macht sich breit. Deswegen erinnere ich daran: Die Inspektoren haben von 1991 bis 1998 mehr irakische Waffen zerstört als der Bombenkrieg vorher. An diese Erfahrung sollten wir anknüpfen. Das ist Realismus.

Merkel: Das, was die Kirchen sagen, nehmen wir sehr ernst. Wir haben in unseren Partei- und Fraktionsgremien darüber auch ausgiebig diskutiert. Die Würde und die Freiheit des Menschen werden auch in Zukunft zentraler Maßstab der politischen Entscheidungen der CDU bleiben. Erst kürzlich hat der Vatikan in seinem Lehrschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man aus christlicher Sichtweise auch zu unterschiedlichen politischen Schlussfolgerungen kommen kann. So können auch christliche Politiker in komplizierte Entscheidungssituationen kommen, da es eben keine 1:1-Umsetzung der Bibel in die praktische Politik gibt. Bei der Irak-Frage sind die Kirchen der Auffassung, dass die jetzige Lage den Einsatz militärischer Mittel jedenfalls zurzeit nicht erfordert. Bei der Beurteilung dieser Frage - es handelt sich ja um keine Glaubensfrage, sondern um eine konkrete sicherheitspolitische Frage - muss es möglich sein, auch zu einem anderen Schluss zu kommen als die Kirchen.

Frage: Kann die Staatengemeinschaft auf den Einsatz militärischer Mittel verzichten, wenn Diktatoren über Massenvernichtungswaffen verfügen?

Thierse: Dass sie es kann, zeigt das Beispiel Nordkorea. Im Unterschied zum Irak ist bei Nordkorea bewiesen, dass das Land Atomwaffen und Trägersysteme hat. Und was macht die Weltgemeinschaft unter Führung der USA? Sie macht Nordkorea ein Dialogangebot! Ich halte das für vernünftig. Jetzt geht es beim Irak um Ausweitung der Inspektionen. Denn die Inspektoren können Waffen besser finden als Bomben.

Merkel: Die Geschichte lehrt uns, dass Diktatoren nur die Sprache der Bedrohung verstehen. Und eine Drohung ist dann zahnlos, wenn man von vornherein militärische Gewalt als Durchsetzungsmittel ausschließt.

Frage: Fördert ein Krieg den be- fürchteten Kampf der Kulturen zwischen westlich-christlicher und islamischer Welt?

Thierse: Nach allem, was wir über den Nahen Osten, islamischen Fundamentalismus und die Quellen und Ursachen des Terrorismus wissen, ist die Gefahr sehr groß, dass ein solcher Krieg den Islamismus und Terrorismus fördert und stärker motiviert und damit die weltweite Gefahr vergrößert wird. Es ist daher im europäischen und deutschen Interesse - denn wir sind die unmittelbaren Nachbarn der Golfregion und nicht die USA - diesen Krieg zu verhindern, weil die schlimmen Folgen uns unmittelbar betreffen.

Merkel: Nein. Es handelt sich hier nicht um einen Konflikt zwischen islamischer und westlich-christlicher Welt. Saddam Hussein hat bereits ein anderes islamisches Land überfallen und hat Massenvernichtungswaffen sogar auch gegen seine eigene Bevölkerung eingesetzt. Er ist eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit.

Fragen: nov

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 7 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.02.2003

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