Ambulante Angebote notwendig
Seelisch Behinderte benachteiligt / Früheres Kinderheim Calbe jetzt Zuhause für psychisch Erkrankte

Calbe / Osternienburg (ep) -"Seelisch behinderte Menschen sind in unserer Gesellschaft anderen Behinderten gegenüber noch immer benachteiligt. Ich hoffe aber, dass sich das bald ändert. Das überarbeitete Bundessozialhilfegesetz sieht ja die Angleichung der Betreuungsund Fördermöglichkeiten vor", sagt Doris Baumann-Siemroth.
Die Diplom-Heil- und Sonderpädagogin leitet die beiden Einrichtungen für seelisch behinderte Menschen der Caritas-Trägergesellschaft (ctm) St. Mauritius in Sachsen-Anhalt. Seit zweieinhalb Jahren lenkt sie die Geschicke der Caritas-Wohn- und Förderstätte in Osternienburg mit 44 Bewohnern, seit vergangenem Jahr baut sie zudem eine ebensolche Einrichtung in den Räumen des früheren Kinderheimes Calbe mit derzeit 24 behinderten Menschen auf.
Mit der Ausstattung der Heime ist die Leiterin durchaus zu frieden. "Wir haben mit Hilfe unseres Trägers einen fantastischen Einrichtungsstandard erreicht, in dem es sich wirklich zu Hause sein lässt." Unzufrieden macht Frau Baumann-Siemroth hingegen, dass es an ambulanten Hilfsangeboten für seelisch Behinderte in Sachsen-Anhalt mangelt: "Viele Heimeinweisungen könnten durch ein Netz von unterschiedlichsten Beratungs- und Anlaufstellen und ihren Möglichkeiten vermieden werden. Das wäre für die behinderten Menschen und für die Gesellschaft von Vorteil", weiß die Sonderpädagogin, die seit Anfang der 90er Jahre mit der Enthospitalisierung von Patienten des psychiatrischen Fachkrankenhauses in Uchtspringe (Altmark) befasst war. "Seelisch Behinderte mit bestimmten Krankheitsbildern brauchen das Heim, deshalb geht es nicht darum, Heimplätze abzubauen", sagt Frau Baumann-Siemroth. "Doch anstatt vielfältige ambulante Angebote für Betroffene vorzuhalten, die mit Unterstützung allein zurecht kommen könnten, sind die Hilfen für seelisch Behinderte noch immer zu sehr im klinischen Bereich verankert, so sehr je nach Erkrankung auch klinische Hilfe notwendig ist und wir hier zum Beispiel für die gute Zusammenarbeit mit dem Fachkrankenhaus in Bernburg dankbar sind."
Unzufrieden ist die Leiterin auch mit dem "miserablen Personalschlüssel" in Sachsen-Anhalt: Auf sechs psychisch Behinderte kommt ein Betreuer. "Mit drei Mitarbeitern für 18 Bewohner lässt sich kein Dienstplan aufstellen", sagt Frau Baumann- Siemroth. Durch zusätzliches Personal, finanziert von der Caritas, konnten in Osternienburg und auch in Calbe dennoch vielseitige Beschäftigungsangebote für die Behinderten eingerichtet werden: So besteht in Calbe eine Koch-, eine Hauswirtschaftsund eine Instandhaltungsgruppe. "Natürlich erfordert dies ständige Begleitung und Anleitung. Andererseits brauchen wir dadurch aber keine Dienstleistungsfirmen von außen. Die Bewohner machen alles selbst", sagt die Leiterin. Auch das Angebot einer Beschäftigungstherapie besteht. Ziel ist es, die seelisch behinderten Menschen zu möglichst großer Eigenständigkeit in den Dingen des alltäglichen Lebens und der Freizeitgestaltung zu befähigen und ihnen auch Bildungsangebote zu machen, so Frau Baumann-Siemroth. In dieser Hinsicht sei in Calbe auch die Einrichtung von Möglichkeiten des betreuten Wohnens geplant. "Wir sehen uns von unserem christlichen Leitbild her gefordert, uns zum Anwalt auch der psychisch behinderten Menschen zu machen", so die Sonderpädagogin.
Dies stand auch im Hintergrund, als das langjährige Kinderheim gleich neben der Pfarrkirche in Calbe mangels Kindern und eines Überangebotes an Jugendhilfe- Einrichtungen zur Caritas- Wohn- und Förderstätte für seelisch Behinderte umgewidmet wurde. Inzwischen leben hier 14 Männer und zehn Frauen zwischen 22 und 62 Jahren.
Infos: Tel. (03 92 91) 4 39 11
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 12.03.2003