Das Gefühl geben, gebraucht zu werden
Halle: Barbara Hein engagiert sich seit 30 Jahren für seelisch und geistig behinderte Menschen
"Man muss Behinderten immer das Gefühl geben, dass sie gebraucht werden," sagt Barbara Hein. "Was für jeden Menschen wichtig ist, haben behinderte Menschen ganz besonders nötig: Sie wollen akzeptiert und eben auch gebraucht werden."
Am Mittwoch ist Barbara Hein von ihrem langjährigen Dienst als Geschäftsführerin der Halleschen Behinderten Werkstätten (HBW) in den Ruhestand verabschiedet worden. Mehr als 30 Jahre war die gebürtige Hallenserin in der Arbeit mit geistig und seelisch behinderten Menschen tätig. Elf Jahre lang leitete sie die HBW, eine Aufgabe, die viel Organisationstalent, Weitblick, aber auch Menschenkenntnis und Kontaktfreudigkeit erforderte. Und angesichts einer noch immer vorherrschenden Skepsis gegenüber Behinderten auch einen großen Schuss Durchsetzungsvermögen, wenn es galt, die Anliegen der ihr Anvertrauten zu vertreten. "Meine Einstellung, Menschen helfen zu wollen, habe ich von meiner Mutter übernommen, die eine herzensgute Frau war", sagt sie. "Und mein Organisationstalent, das habe ich wohl von meinem Vater geerbt, der so etwas wie Steuerberater war."
In Berlin zur Erzieherin ausgebildet, arbeitete sie zunächst zehn Jahre lang im Kindergarten- und Hortbereich der Caritas in Halle und Umgebung. 1972 bewarb sie sich dann auf eine Ausschreibung der Stadt Halle hin für die Arbeit mit geistig und seelisch Behinderten. Halle hatte eine lange Tradition in der Arbeit mit Gehörlosen und wollte nun auch stärker etwas für geistig und seelisch behinderte Menschen tun. Frau Hein übernahm die Aufgabe und musste Pionierarbeit leisten. Die Schwierigkeiten, mit denen sie anfangs zu kämpfen hatten, waren groß. "Die Behinderten wurden als Kranke angesehen. Unsere Einrichtung war an ein Krankenhaus angeschlossen", erinnert sich die engagierte Frau. Doch was die behinderten Menschen brauchten, war nicht zuletzt eine Aufgabe und damit verbundene Anerkennung.
Mit einem kleinen Büro, einem Lagerraum und einem Arbeitsraum in einem ehemaligen Blumenladen in der Innenstadt konnte ein Werkstattbetrieb aufgenommen werden. 30 Erwachsene mit geistiger Behinderung konnten so für vier Stunden am Tag Hand- und Montagearbeiten ausführen. "Es ist für einen Menschen unheimlich wichtig, gebraucht zu werden," erklärt Frau Hein mit kraftvoller Stimme. An den Behinderten habe sie immer wieder gemerkt, wie gut es ihnen tut, dass ihre Arbeit akzeptiert wird. "Wir bekommen Rohmaterial von Betrieben und liefern Fertigprodukte zurück. Was glauben Sie, wie gut es den Behinderten tut, wenn Sie in einen Laden gehen und sagen können: ,Diesen Lampenschirm habe ich gemacht?'" 1977 und 1981 kamen weitere Wohnungen, in denen Behinderte geschützt arbeiteten konnten, hinzu.
Einen wichtigen Einschnitt stellt für Frau Hein die Gründung des neuen Zentrums für behinderte Menschen mit Werkstätten und Wohnheim und dem damit verbundenen Neubau am Stadtrand von Halle dar, der unter ihrer Leitung entstand. "Die Arbeits- und Wohnbedinungen mussten verbessert und Plätze für mehr Behinderte geschaffen werden" sagt sie. Bereits im Juli 1990 hatte der neu gegründete Verein "Hallesche Behinderten Werkstätten e.V." die Trägerschaft übernommen. Geschäftsführerin der Werkstätten war seit 1. Januar 1991 Barbara Hein. Als solche war sie zuständig für die Verwaltung und für Fragen zur finanziellen Absicherung, ganz am Anfang auch für die Beschaffung von Arbeit für die Behinderten. "Da musste man Türklinken putzen gehen," sagt Frau Hein scherzend.
Im Sommer 1995 wurden die kleineren Einrichtungen im Stadtgebiet aufgelöst und der Neubau bezogen. "Wir haben hier eine Werkstatt mit 260 Plätzen, ein Wohnheim für 40 Frauen und Männer und eine Fördergruppe mit 18 Plätzen," beschreibt Frau Hein nicht ganz ohne Stolz das Ergebnis langer Arbeit. "Es ist die Einrichtung der Behinderten. Wir unterstützen sie nur," so die langjährige Geschäftsführerin. Sie fügt hinzu. "Wir haben heute hier eine ganz selbstbewußte Truppe."
Ihren Ruhestand will Frau Hein mit Dingen verbringen, für die sie in den letzten Jahren nur wenig Zeit hatte: "Erstmal werde ich meine Freundschaften etwas mehr pflegen." Auf große Fahrradtouren will sie gehen und ihr zu Hause genießen. Vollkommen zurückziehen will sie sich von der Behindertenwerkstatt nicht. "Es wird eine Zeit der Übergabe geben, in der ich dem neuen Leiter der Einrichtung, zur Seite stehe." Darüber hinaus wird sie weiterhin im ehrenamtlichen Vorstand der Einrichtung tätig sein. Für die Behindertenwerkstatt, die Mitglied im Caritasverband ist, wünscht sie sich noch ein Wohnheim für die Altgewordenen und Schwerstbehinderten.
Silvia Leitel/tdh
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 12.03.2003