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"...jetzt regiert der Wahnsinn"

Chronik über katholische Kirche in Mecklenburg

Schwerin (ahü) -Bischof Heinrich Theissing sah die Sache realistisch. Er wusste: Die jüngst vollendete Chronik über die katholische Kirche durfte nicht an die Öffentlichkeit. Sollte der Staat Wind von dem Werk und seinem Inhalt bekommen, wäre das Buch so gut wie beschlagnahmt. Theissing ließ die "Geschichte des Bischöflichen Kommissariates Schwerin 1946-1973" in nur fünf Schreibmaschinen- Durchschlägen tippen. Die Kopien wurden an vier Adressen abgegeben: Ein Exemplar bekam der Osnabrücker Bischof Helmut Hermann Wittler, das zweite ging an das Generalvikariat des Bistums Meißen. Ein weiteres Exemplar bekamen die Kirchengeschichtler des Philosophisch- Theologischen Studiums Erfurt. Die letzte Kopie blieb in Schwerin. "Wir möchten mit dieser Maßnahme erreichen, dass wenigstens das eine oder andere Exemplar für spätere Generationen erhalten bleibt", schrieb Bischof Theissing 1972.

Seit Ende Januar ist die Chronik keine Geheimsache mehr. Der Leiter des Heinrich-Theissing- Institutes, Dr. Georg Diederich, stellte in Schwerin eine illustrierte "Neuauflage" vor: Diesmal mit 500 Exemplaren.

Warum Bischof Theissing seinerzeit mit der Vernichtung des Buches rechnete, wird bei flüchtiger Durchsicht deutlich. Die Chronik berichtet ohne Zurückhaltung über die Schikanierung von Katholiken durch die DDR-Behörden, über den Kampf gegen die Jugendweihe, über Verhaftung und Verschleppung von Geistlichen. Dr. Bernhard Schräder, Schweriner Pfarrer und späterer Bischof, nimmt in seinen Tagebucheintragungen von 1945 kein Blatt vor den Mund. "Früher regierte in Deutschland das Verbrechen, jetzt der Wahnsinn", kommentiert er am 26. Oktober 1945 die Arbeit der sowjetischen Militärverwaltung.

Aber die Chronik blättert auch andere Kapitel auf: Sie berichtet über den Aufbau neuer kirchlicher Strukturen, über den Weg zur Selbstständigkeit, über die Arbeit der Caritas, über Kirchenneubauten und die Eingliederung der vielen Heimatvertriebenen.

Als das Werk 1972 erschien und sein Inhalt in kirchlichen Kreisen die Runde machte, bekam Bischof Theissing in der Tat Schwierigkeiten -aber nicht von staatlicher Seite. Im Klerus erhob sich ein Sturm der Entrüstung. "Die alten Osnabrücker fühlen sich in der Chronik ungerecht beurteilt", berichtete Prälat Josef Niederwestberg dem Bischof, nachdem er im Januar 1973 von einer Dechantenkonferenz in die Mangel genommen worden war. Der geistliche Rat gehörte neben der Hauptautorin Dr. Renate Krüger und Prälat Friedrich Kindermann zu den Verfassern. Tatsächlich erzählt das Buch von den Schwierigkeiten der armen Flüchtlingspriester in provisorischen Kleingemeinden, während die Osnabrücker Kleriker in den alten und wohlversorgten Pfarreien saßen.

Als der Ärger nicht geringer wurde, sah Theissing nur zwei Möglichkeiten: "Auf Eis legen, oder verbrennen!" Die Chronik wurde nicht verbrannt, sondern 1979 in einer zweiten, veränderten Ausgabe neu aufgelegt. Diese ist jetzt abgedruckt.

"Für die Geschichte der Kirche in Mecklenburg ist diese Chronik ein einzigartiges Dokument", erklärte Diederich. "Es wird deutlich, wie die katholische Kirche in Mecklenburg unter ganz neuen Bedingungen zu einem eigenen Programm fand."

Allerdings bleibe das Geschichtszeugnis ein Zeugnis aus seiner Zeit. "Es verarbeitet den damals möglichen Stand des Wissens. Dem Dokument fehlt die Einsichtnahme in staatliche Akten, die uns heute möglich ist. Es fehlen auch viele Quellen, da viele Gemeinden damals keine eigenen Chroniken besaßen."

Was der Chronik von 1946 bis 1973 ebenfalls fehlt, ist die Fortsetzung. An dieser arbeitet das Heinrich-Theissing-Institut. Die Theissing-Chronik ist der erste Band einer Dokumentationsreihe "Kirche unter Diktaturen -katholische Kirche in Mecklenburg 1933-1989". Der zweite Band (1933 bis 1973) wird Anfang 2004 erscheinen. Der dritte Band beschäftigt sich mit den 70er und 80er Jahren.

Die Chronik
(ISBN 3-00-010864-5)
kostet 14,90 Euro.
Sie ist im Buchhandel erhältlich oder
kann per Email bestellt werden:
kontakt@hti-schwerin.de

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 9 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 12.03.2003

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