Auf der Suche nach einer neuen geistlichen Haltung
Der Irak-Krieg -eine Herausforderung für die Christen
Die aktuellen Bilder bestimmen unser Leben: Gescheiterte Diplomaten, ein lächelnder amerikanischer Präsident und ein gelöst wirkender Diktator im Irak. Dazu Kriegsbilder wie aus dem Videospiel und immer wieder ein Papst, der nach Frieden ruft. Viele bizarre Bilder erreichen uns in diesen Tagen, beeindrucken und rühren tief an. Tausende gehen auf die Straße und geben ihrer Wut und ihrer Ohnmacht einen deutlichen Ausdruck.
Die einzig verbliebene Supermacht mit einigen Verbündeten entfacht einen Krieg -hochtechnisiert, zielgerichtet und mit den zu erwartenden Fehlern. Die amerikanische Regierung verfolgt ihr lange angekündigtes Ziel ohne die Beteiligung der Vereinten Nationen. Trotz der klaren Einwände vieler Staaten -nicht zuletzt der deutschen Regierung -, trotz der Friedensappelle der Kirchen und obwohl die diplomatischen Verhandlungen immer erfolgsversprechender wurden, müssen nun unzählige Menschen ihr Leben verlieren.
Zweifelsohne übt Saddam Hussein seit Jahrzehnten eine Gewaltherrschaft aus, unter der viele Menschen leiden oder starben. Allerdings stand stets die Frage nach Massenvernichtungswaffen im Vordergrund der Verhandlungen und Kontrollen -nicht ein Regimewechsel durch eine Eroberung. Die amerikanische Regierung fragte nach und kündigte selbst an, Beweise und Fakten für das Vorhandensein solcher Waffen zu bringen. Nichts davon hat sich erfüllt.
Der Kriegsbeginn stellt uns damit vor eine völlig neue Situation -weltweit. Dieser Krieg ist eine Verletzung des Völkerrechts und ein Rückschritt für die Menschheit. Die Folgen sind nicht absehbar. Die Furcht vor Terror in den nächsten Jahren scheint begründet zu sein. Der Glaube daran, dass sich die Menschheit weiterentwickelt, ist erschüttert. Die Hoffnung auf ein friedlicheres Zusammenleben der Menschheitsfamilie ist enttäuscht.
All das sind erhebliche Anfragen und Herausforderungen an die Christen, an unseren Glauben und unsere Hoffnung über diese Katastrophe hinaus. Wir brauchen eine neue geistliche Haltung zur Gewalt. Empörung und Ohnmacht sind für uns nahe liegend, weil wesentlich und notwendig. Was Unrecht ist, muss Unrecht genannt werden. Danach aber -und tiefer als Empörung und Ohnmacht muss unser Glaube dringen, an den Gott, der uns immer wieder vorlegt, nicht den Tod, sondern das Leben zu wählen.
Mit einer neuen geistlichen Haltung meine ich nicht einen Rückzug in die Innerlichkeit, gleich einer inneren Emigration. Diese Erschütterung muss uns motivieren, unsere Wurzeln tiefer einzusenken in den Glauben an Gott, die Verbundenheit mit ihm stärker zu suchen, aus ihm zu leben. Dazu sind zugleich die Stille und das sensible und klare Wort notwendig. Beides bedingt sich und nährt uns. Ich meine damit die Verbindung zu einem Gott, der sich in dieser Welt lange nicht nur als ein Starker gezeigt hat, sondern genauso als ein Schwacher. Eine seiner Schwächen ist, uns Freiheit zu geben. Und er nimmt dabei in Kauf, dass diese Freiheit missbraucht wird. Aber er hat den längeren Atem.
Deshalb können wir im Glauben an ihn zu tiefen Quellen vordringen. Aus seinen reichen Quellen zu leben hilft, auch mit den aktuellen Entwicklungen zu leben und -sensibel und entschieden zugleich -der Welt zu sagen, was weiterhilft. Aus der Tiefe des Evangeliums Jesu Christi können wir zum Ausdruck bringen, dass Hass und Vergeltung keinen Weg in die Zukunft eröffnet.
Wir vermögen das, nicht weil wir die besseren Menschen sind, sondern weil Gott selbst einer ist, der tiefer sieht und zu wirken vermag. Er findet unter der Bosheit den guten Kern eines jeden Menschen. Er vermag die Spirale der Gewalt zu kappen. Das hat er in Jesus Christus in diese Welt gebracht.
Verbunden mit vielen Menschen versuchen die Schwestern und Brüder des Dominikanerklosters St. Albert in Leipzig dies in ihrem Beten und Tun -da wo sie stehen -, in diesen Tagen besonders zu leben.
Pater Georg-D. Menke,
Prior des Dominikanerklosters Leipzig
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 07.04.2003