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Aus der Region

"In drei Minuten unter die grüne Wiese"

Tagung der ostdeutschen katholischen Akademien zur Bestattungskultur

Bad Kösen (mh) -Die Bestattungskultur in Ostdeutschland hat sich in den letzten 100 Jahren gravierend verändert. Statt Erdbestattung Verbrennung, statt Familiengrab Urnengrab unter der grünen Wiese, statt einer großen christlichen Trauerfeier eine stillen Beisetzung in wenigen Minuten. So schilderte Albrecht Graichen die Situation auf den kommunalen Friedhöfen in Leipzig, für die er als Abteilungsleiter beim Grünflächenamt zuständig ist. Anlass dieser Bilanz war die Jahrestagung der Katholischen Akademien der Bistümer Dresden-Meißen, Erfurt und Magdeburg. Unter dem Titel "Wie gehen wir mit den Toten um?" hatten die Akademien Bestatter, Friedhofsverwalter, Seelsorger und Interessierte zu einer Fachtagung ins Konrad- Martin-Haus Bad Kösen eingeladen.

Ethisch, humanistisch, ökonomisch

Der Beginn der von Graichen geschilderten Entwicklung liegt etwa im Jahr 1900. In Leipzig entstand der erste Feuerbestattungsverein, der sich für die Möglichkeit der Feuerbestattung einsetzte -laut Graichen damals vor allem aus hygienisch-medizinischen Gründen. Im Dezember 1909 wurde auf dem Südfriedhof die erste Urne beigesetzt. Als ab 1960 die Bestattungsfläche nicht mehr ausgereicht habe, habe die staatliche DDR-Propaganda den Trend zur Verbrennung verstärkt. Die Beisetzung im Urnen-Gemeinschaftsfeld sei die sozialistische Bestattungsart. Sie sei ethisch, humanistisch und ökonomisch, hieß es in Werbeprospekten. Das alles habe dazu geführt, dass es heute auf seinen Friedhöfen nur noch zehn Prozent Erdbestattungen gibt. Jede zweite Beisetzung ist als stille Beisetzung in wenigen Minuten (Rekord zu Wendezeiten waren drei Minuten) erledigt. Bei jährlich rund 3000 Beisetzungen wird nur noch etwa 15 Mal die große Trauerhalle genutzt. Graichen bedauert diese Entwicklung, hatte er doch nach der Wende auf eine Trendänderung gehofft.

Schuld gibt er auch den Bestattern, die "die bisher üblichen Formen immer mehr vereinfachen. Aber auch wir Friedhofsverwalter hinken mit den Antworten hinterher." Diese sind aber möglicherweise bald um so wichtiger, denn zurzeit gibt es Bemühungen, den Friedhofszwang für Urnen aufzuheben. Graichen: "Die Urne im Wohnzimmer macht den Toten zum Spielball der Hinterbliebenen." Ein Grab auf dem Friedhof sei für jeden, der trauern möchte, zugänglich, die Urne in der Wohnung nicht.

Zuerst wird an der Friedhofskapelle gespart

Dass die Entwicklung durch das Fehlen jeglicher religiöser Dimension im Leben vieler Ostdeutscher verstärkt wird, zeigte die Diskussion genauso wie die große Bedeutung finanzieller Fragen: Die Kosten für eine Erdbestattung können sich schnell auf 5000 Euro und mehr summieren. "Da wird halt zuerst an der Friedhofskapelle gespart", berichtete ein Bestatter.

Nicht nur in Leipzig, in ganz Westeuropa vollziehe sich zurzeit eine grundlegenden Veränderung der Bestattungskultur, betonte Konrad Baumgartner, Pastoraltheologe aus Regensburg. Die religiöse Individualisierung führe auch im Bestattungsbereich zur Suche nach Alternativen. "Die Kirchen haben nicht mehr das Ritenmonopol, der Einzelne kann sich auch für einen anderen Anbieter entscheiden." Vor diesem Hintergrund müsse sich die Kirche fragen, welche Leistungen sie einbringen kann, im Blick auf die Hoffnung, die sie verkündet. Dieser Dienst müsse selbstlos angeboten werden und nicht mit versteckten missionarischen Absichten.

Als Herausforderung bezeichnete Baumgartner den Bereich der Trauerarbeit: "Die Leute erwarten sehr viel Beistand. Dem wird kirchlicherseits nicht angemessen entsprochen." Schließlich müsste sich die Kirche auch den eigenen Problemen stellen: dem Umgang mit Selbstmördern oder mit aus der Kirche Ausgetretenen.

Zur Sprache kam während der Tagung auch ein spezielles Thema: die Bestattung von Fehlgeburten. Weil Fehlgeburten gesetzlich nicht als Personen gelten, gibt es in Deutschland keinen Bestattungszwang. An mehreren Orten, vor allem in christlichen Krankenhäuser, werden diese Kinder aber nicht mehr im Kliniksondermüll entsorgt. Sie werden bestattet, es gibt das Angebot von Gedenkfeiern und für die betroffenen Familien auch Möglichkeiten der Trauerarbeit. Axel Kramme, Seelsorger am Weimarer Sophien- und Hufelandklinikum, und Franz Herzog, Referent bei der Deutschen Bischofskonferenz, berichteten darüber.

Kirche ist kein Bestattungsunternehmen

Wandel der Bestattungskultur in Deutschland -wie kann Kirche darauf reagieren? "Kirche ist kein Bestattungsunternehmen", betonte der Magdeburger Weihbischof Gerhard Feige zum Abschluss der Tagung. Mit der Bestattung erweise Kirche ihren Mitgliedern die Ehre. Zugleich forderte Feige aber, die Kirche dürfe nicht zu eng denken: "Wir sollten unseren Dienst dort anbieten, wo es gilt Hilflosigkeit zu überwinden."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 15 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Samstag, 12.04.2003

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