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Auf zwei Minuten

Das kostbarste Geschenk

Kein Telefonat kann die eigene Gegenwart ersetzen

Pater Damian

Der vietnamesische Mönch und Zen-Meister Thich Nhat Hanh schreibt in einer seiner gesammelten Meditationen: "Als ein Vater seinen zwölfjährigen Sohn fragte, was er sich zum Geburtstag wünsche, antwortete dieser: 'Papa, ich möchte dich!' Sein Vater arbeitete und war selten zu Hause. Sein Sohn war eine Glocke der Achtsamkeit, die ihn daran erinnerte, dass das kostbarste Geschenk, das wir unseren Liebsten machen können, unsere wirkliche Gegenwart ist."

Kinder und Eltern, Eheleute und Liebende, die aus verschiedenen Gründen für längere Zeit getrennt leben müssen, haben erfahren: Kein noch so kostbares Geschenk, kein Brief, kein Telefonat kann die wirkliche Gegenwart des anderen ersetzen. Die bewegenden Szenen eines Wiedersehens mit geliebten Menschen auf Flughäfen und Bahnhöfen sprechen eine deutliche Sprache. Und umgekehrt auch die Bilder eines Abschieds. Dem anderen zum "Anfassen" nahe zu sein, ist jedoch nicht das eigentliche der Begegnung und der wirklichen Gegenwart. Es kommt auf die Aufmerksamkeit, die Achtsamkeit des Herzens an: Man nimmt den anderen bewusst wahr, ist ganz Auge und Ohr für ihn, nicht abgelenkt durch irgendwelche Probleme, Pläne und Sorgen.

Wer jemandem seine Gegenwart schenkt, schenkt sich selbst

Diese Gegenwart mit Leib und Seele dem anderen gegenüber gelingt uns oft nicht. Wahrscheinlich sind wir damit überfordert. Die meisten unserer Begegnungen im Laufe eines Tages sind oberflächlich -gerade mal ein "Morgen!", "Mahlzeit!" und Ähnliches -oder funktional, wie unsere Berufs- und Arbeitssituation es erfordert. Hinzu kommt der Zeitdruck. Auch bei langjährigen Ehepartnern wird die Gegenwart oft zur Routine: Wenn zum Beispiel dem Mann beim gemeinsamen Frühstück der Inhalt der Tageszeitung wichtiger ist als das Befinden seiner Frau, die ihm ihre Sorgen klagt. Er hört nur mit dem halben Ohr hin...

Wer jemandem seine wirkliche Gegenwart schenkt, schenkt sich selbst. In solchen Zeiten spürt man: Ich kann mich durch niemanden und nichts vertreten lassen. Ich bin dem anderen so wichtig und notwendig, dass ich meine aufmerksame Gegenwart durch nichts ersetzen kann. So ist die Begegnung, die aus Liebe und in Liebe geschieht. Ich glaube, die Begegnung zwischen Gott und Mensch im Gebet ereignet sich auf ähnliche Weise. Jesus ermuntert uns, vertrauensvoll zu beten und erläutert das an einen Vater, der seinen bittenden Kindern Gutes schenkt: "Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten" (Lk 11,13). Wohlgemerkt: Gott schenkt uns nicht irgend etwas, sondern seinen Heiligen Geist, der die wirkliche Gegenwart Gottes in uns und unter uns ist!

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 15 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Samstag, 12.04.2003

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