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Aus der Region

Rebellen gegen die Formlosigkeit

Konservativer Katholizismus steigt im Kurs. Haben die Reformbewegungen verspielt ?

Das hätten sich die Konzilsväter so nicht vorgestellt: 40 Jahre nach Beginn der Liturgiereform scharen sich Christen in entgegengesetzten Lagern zusammen - geeint nur durch Unzufriedenheit. Die einen haben kein Verständnis für die Trennung von den evangelischen Schwestern und Brüdern; sie wollen lebensnahe Feierformen ohne theologischen Ballast und liturgisches Brimborium. Die anderen beklagen eine verflachte liturgische Praxis und eine Preisgabe des Mysteriums. Deren Ursprung liege in einer Reform, die den Priester zum Entertainer und das göttliche Altaropfer zu einem belanglosen Erinnerungsmahl gemacht habe.

Die Stimmen der Kritiker mehren sich. Dass dies jetzt geschieht, ist kein Zufall: Kulturwissenschaftler kennen die Zeitmarke von 40 Jahren als ein kritisches Datum. An dieser Schwelle entscheidet sich, was die ehemals jungen Zeugen eines zeitgeschichtlichen Ereignisses in die folgende Generation weitertragen, was sie zurücklassen. Verlust und Gewinn der liturgischen Erneuerung werden bilanziert.

Eine deutliche Verlustrechnung machte vor kurzem der Schriftsteller Martin Mosebach auf. Seine Aufsatzsammlung "Häresie der Formlosigkeit", von der FAZ in schöner Doppeldeutigkeit zum "Kultbuch" erklärt, erhebt schwere Vorwürfe: Papst Paul VI. habe in einem tyrannischen Akt die jahrhundertealte römische Messe durch einen zeitgeistigen Typ von "Vereinssitzung mit demokratischer Geschäftsordnung" ersetzt. Man habe in beispielloser Zerstörungslust die alten Rituale und Bilder aus den Herzen der Gläubigen gerissen und unter liturgiewissenschaftlichen Vorwänden das Mysterium seziert. Mit Retuschen ist es für Mosebach nicht getan: Seine Hoffnung gilt den Priestern, die im "gehorsamen Ungehorsam" den vorkonziliaren Ritus hüten.

Mosebachs Polemik ist nicht neu. Ausführlicher und intelligenter prangerte vor 20 Jahren der Soziologe und Psychoanalytiker Alfred Lorenzer in "Das Konzil der Buchhalter" die Zerstörung der Sinnlichkeit in der katholischen Liturgie an - übrigens als erklärter Verfechter der marxistischen Religionskritik. Doch offensichtlich war es erst jetzt an der Zeit, dass diese Thesen durch den Traditionalisten Mosebach breiteres Gehör finden. Seine Klage stimmt zusammen mit dem früheren Augsburger Weihbischof Max Ziegelbauer, der sich gleichfalls publizistisch für eine "Wiederentdeckung des Katholischen" stark macht. In einer weiteren Veröffentlichung ruft der Basler Bischof Kurt Koch zu einer "Kirche, die das Geheimnis lebt". Sie alle verbindet die Hinwendung zum Mysterium der Eucharistie.

Mosebach sieht im Ergebnis der Liturgiereform eine Parallele zur 68er-Revolte: ein Kampf gegen Reglements und Formalismen. Wenn aber, so sein Grundgedanke, die äußere Gestalt einer Sache deren innere Wahrheit verrät, dann wird liturgische Beliebigkeit zur Häresie. Diese Sorge teilen auch neuere lehramtliche Schreiben - die Eucharistie-Enzyklika ebenso wie die Instruktion "Der Priester, Hirte und Leiter der Pfarrgemeinde", die eine sorgfältige Beachtung der Rollenverteilung in der Gemeinde anmahnt, oder das Schreiben "Liturgiam authenticam", das Wildwüchse der liturgischen Texte kappen will. Strengere Formen werden weithin begrüßt; gerade viele junge Priester kleiden sich wieder bewusst klerikal, und geistliche Gemeinschaften, die eucharistische Verehrung pflegen und konfessionell Flagge zeigen, haben Zulauf.

Schlägt das Pendel zurück - von "Beat-Messen", Klatschen und Tanzen zu lateinischen Chorälen und kniender Anbetung? Um die "Kirchenvolksbewegung", anfangs Ausdruck einer ebenso lebendigen wie autonomen katholischen Basis, ist es jedenfalls still geworden. Die den Reformkatholiken sonst sehr gewogene Zeitschrift "Publik-Forum" sieht die Initiative nach "sieben mageren Jahren" am Ende: "Da ist kein Funke übergesprungen", heißt es in einem Beitrag, erfolglos und nahezu "spirituell ausgehungert" sei die Bewegung, die sich in ihrem Selbstverständnis auf das Zweite Vatikanum bezieht. Ein schlechtes Omen für die Zukunft des Zweiten Vatikanums selbst?

Burkhard Jürgens

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 18 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 02.05.2003

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