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VI Standgerichte an der Arbeit: Todesurteil vollstreckt

Die Folgen des Aufstands

Die der Niederschlagung des Aufstandes folgende Rachejustiz der DDR ist blutig. Es gibt (noch) keine genauen Zahlen über alle Todesopfer. Die Angaben bewegen sich zwischen 50 und 125 Toten. 20 000 Personen werden jahrelang in Zuchthäuser eingesperrt, drei Personen noch später enthauptet.
Standrechtlich erschossen wurden: Kurt Arndt, Eisleben; Ernst Markgraf, Stralsund; Heinz Brandt, Rostock; Walter Schädlich, Leipzig; Eberhard von Canerin, Geithain; Axel Schäfer, Erfurt; Alfred Dartsch, Magdeburg; Günter Schwarzer, Gotha; Alfred Diener, Jena; Heinz Sonntag, Leipzig; Willy Göttling, Berlin; Hermann Stahl, Eisleben; Hartmann, Delitzsch; Herbert Strauch, Magdeburg; Peter Heider, Magdeburg; Hans Wojkowski, Stralsund; Vera Knoblauch, Rostock; Walter Krüger, Eisleben; ferner drei unbekannte Volkspolizisten. Eines der Opfer war der "Bewohner von Westberlin" Willy Göttling, der wegen Teilnahme "an den gegen die Machtorgane und die Bevölkerung gerichteten banditenhaften Ausschreitungen" zum Tode durch Erschießen verurteilt wurde. "Das Urteil wurde vollstreckt." Eine Überführung des Leichnams fand nicht statt. Nachdem die "Ordnung" wieder hergestellt ist, greifen die Besatzungsmacht und ihre ostdeutschen Helfer weiter unerbittlich durch. 1526 Verurteilungen folgen. Sammellager werden in Berlin-Friedrichsfelde, Magerviehhof, Marzahner Chaussee eingerichtet. Binnen kurzer Zeit waren diese Lager gefüllt. Bis zum 30. Juni waren 2241 Personen durch die Polizei inhaftiert worden. Die Häftlinge wurden geschlagen, das Essen war unzureichend, sanitäre Anlagen fehlten. Von den 2241 Inhaftierten übernahm die Stasi 315, gegen 433 wurde Haftbefehl erlassen, 1145 freigelassen, 253 erhielten Geldstrafen, sieben Häftlinge wurden durch sowjetische "Dienststellen" übernommen, 82 Personen waren am 30. Juni noch in Haft. Von den durch Volkspolizei und Ministerium für Staatssicherheit Festgenommenen wurden bis zum 14. Februar 1954, oft nach mehrmonatiger Untersuchungshaft, 273 Personen angeklagt, davon 42 Westberliner. Verurteilt wurden 154 Personen, darunter 29 Westberliner. Trotz der Repressalien streikten in ausgewählten Betrieben (insgesamt dürften die Zahlen noch höher liegen) am 18. Juni um acht Uhr 18.079 Arbeiter, also ca. 50 Prozent der Streikenden vom Vortag, und um 12 Uhr waren es trotz allen Drucks noch 14.922. Bis weit in den Juli hinein brodelte es in den Betrieben, wurden bei Belegschaftsversammlungen und "Aussprachen" immer wieder neben sozialen auch politische Forderungen erhoben. Die letzten kleinen Unruhen, die im direkten Zusammenhang mit den Ereignissen vom 17. Juni 1953 standen, gab es am 15. Juli im Kupferbergbau in Helbra. Kurt Barthel, erster Sekretär des Deutschen Schriftstellerverbandes von 1952-54, auch bekannt unter dem Autorennamen ”Kuba”, hat, nachdem der Aufstand zusammengebrochen war, einen Aufruf mit dem Titel ”Wie ich mich schäme!” geschrieben und veröffentlichen lassen: ”Wie ich mich schäme! Maurer - Maler - Zimmerleute. Sonnengebräunte Gesichter unter weißleinenen Mützen, muskulöse Arme, Nacken - gut durchwachsen, nicht schlecht habt Ihr Euch in Eurer Republik ernährt, man konnte es sehen. Vierschrötig kamt Ihr daher... es gibt keine Ursache dafür, daß an jenem, für Euch - Euch am allermeisten - schändlichen Mittwoch Ihr nicht Häuser bauet... Schämt Ihr Euch, so wie ich mich schäme! Da werdet Ihr sehr viel und sehr gut mauern und künftig sehr klug handeln müssen, ehe Euch diese Schmach vergessen wird. Zerstörte Häuser reparieren, das ist leicht. Zerstörtes Vertrauen wiederaufzurichten ist sehr, sehr schwer!” Auf ”Kubas” Manifest hat Bertolt Brecht in einem kurzen ”Gelegenheitsgedicht” geantwortet: ”Die Lösung: Nach dem Aufstand des 17. Juni / Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands / In der Stalinallee Flugblätter verteilen / Auf denen zu lesen war, daß das Volk / Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe / Und es nur durch verdoppelte Arbeit / Zurückerobern könne. Wäre es da / Nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?” Am 26. Juli 1953 rief der SED-Parteiideologe Fred Oelsner bei einer Versammlung im Buna-Werk bei Merseburg: ”Es wird keinen zweiten Tag X mehr geben!” Die Arbeiter schrieen zurück: "Der Tag X wird kommen!" Der "Tag X" kam dann doch noch - 36 Jahre später - am 9. November 1989.
Carsten Kießwetter

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 0 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 04.06.2003

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