Die Kirche steht auf der Seite Gottes und des Rechtes
Katholische Kirche und 17. Juni (von Christoph Kösters)
Am 17. Juni 1953 rollten in Ostberlin und in der DDR sowjetische Panzer gegen tausende für Freiheit, Einheit und bessere Lebensverhältnisse demonstrierende Menschen. Unter den Protestierenden war auch Mitglieder der in den Monaten zuvor terrorisierten evangelischen und katholischen Jugend. Vier Tage später, am 21. Juni 1953, titelte die politisch ambitionierte Westberliner Kirchenzeitung "Petrusblatt": "Kirchenkampf eingestellt. Saarow und Oebisfelde zurückgegeben." Die seit Mai mit großer propagandistischen Begleitmusik vom Staat enteigneten katholischen Caritasheime in Bad Saarow und Oebisfelde waren wieder in der Hand ihrer kirchlichen Ordenseigentümer.
Was war geschehen? Noch bevor die sowjetische Militärs Aufstand gewaltsam niederschlugen, hatte das ZK der SED auf massiven Druck Moskaus tatsächlich die seit fast einem Jahr andauernde Verfolgung der beiden christlichen Kirchen eingestellt. Am 10. Juni waren Spitzenvertreter der Regierung Grotewohl mit Repräsentanten der Evangelischen Kirchen zusammengekommen. In einem tags darauf im "Neuen Deutschland" veröffentlichten gemeinsamen Kommuniqué hatte sich das SED-Regime verpflichtet, die staatlichen Zwangsmaßnahmen v.a. gegen den Religionsunterricht in der Schule und die kirchliche Jugendarbeit zurückzunehmen. Die EKD begrüßte in einer Erklärung an alle evangelischen Gemeinden in Deutschland den kirchenpolitischen Umschwung. So blieb es an der "Kirchenfront" relativ ruhig, als sich am 17. Juni die Ereignisse überschlugen.
So klar für uns heute die Vorgänge und Zusammenhänge im einzelnen erkennbar sind, so schwierig waren sie seinerzeit für Zeitgenossen zu überschauen. Die ostdeutschen katholischen Bischöfe waren nach Monaten gewaltsamer Kirchenverfolgung darauf bedacht, die plötzlich und unverhofft eintretenden Erleichterungen nicht zu gefährden. So präsentierte in Dresden der Meißener Bischof Wienken der SED-Bezirksleitung einen kirchlichen Forderungskatalog just zu dem Zeitpunkt, als massive Polizei- und Militärkräfte in der abgeriegelten Innenstadt gegen 20.000 Demonstranten vorging.
Es war der Kölner Kardinal Frings, der in einem veröffentlichten Brief an seinen Berliner Amtskollegen Weskamm Solidarität mit den Opfern bekundete sowie Menschenwürde, Glaubens- und Gewissensfreiheit als Grundlage eines friedlichen und einigen Deutschland einforderte: "Das ganze Erzbistum habe ich aufgerufen, im Gebete aller Verwundeten und Eingekerkerten, aller zu Witwen und Waisen Gewordenen, aller in Not und Verzweiflung Befindlichen eingedenk zu sein, ebenso aber auch aller derer, die ihr Leben lassen mußten. Am Feste Peter und Paul (29. Juni) wollen wir der verfolgten Kirche gedenken. Als Auftakt gleichsam wird am Tage vorher unser Gebet für die Opfer der letzten Tage in allen Kirchen verrichtet werden. Gottes Erbarmen bewirke, daß die Herzen derer, die in Ostberlin und in der Ostzone die Macht haben, zur Menschlichkeit gelenkt werden, so daß sie der gequälten Bevölkerung nicht weitere Lasten auferlegen. Möge der Tag nicht mehr fern sein, an dem der Riß sich schließt, der mitten durch unser Volk geht und so viel Unheil auslöst" (PBl. 5.7.1953, S. 3).
Die Predigt, die der Berliner Bischof dann Mitte Juli im in der DDR gelegenen Nauen hielt, ging in dieselbe Richtung, ja die Ausführungen über die Recht und Gewissen knüpften bewußt an die Weihnachtsansprache Pius XII. aus dem Jahre 1942 (!) an: "Man hat gefragt, wo die Kirche heute stehe. Die Kirche steht auf Seiten Gottes und des Rechtes. (...) Recht ist ja nicht willkürliche Bestimmung einer Rasse oder einer Klasse und nicht eine Nützlichkeitsüberlegung. Recht muß vielmehr beruhen auf dem ewigen Sittengesetz Gottes, das gestern galt und morgen gilt, das den Kläger ebenso wie den Angeklagten im Gewissen bindet. Wer das Recht aus Gott herausreißt und entwurzelt, nimmt dem Menschen die Garantien seines Lebens, raubt ihm seine Freiheit und Würde und die klare, feste Grundlage der menschlichen Gemeinschaft. Darum tritt die Kirche für die Rechtsordnung Gottes unter den Menschen ein. Es ist gut, daß die Kirche in jeder Zeit und in jeder Entwicklung da ist, denn wer sonst sollte und könnte die Botschaft vom Recht verkünden?" (PBl. 19. Juli 1953, S. 4).
Angesichts solcher massiven öffentlichen Kritik verwundert es kaum noch, daß DDR-Ministerpräsident Grotewohl eine am 11. Juli überreichte, mit der Bitte um ein Grundsatzgespräch verbundene Denkschrift unbeantwortet ließ, in der die ostdeutschen Bischöfe die kirchlichen Freiheiten als Grundlage des künftigen Rechtsfriedens einforderten.
Die Abrechung der SED-Machthaber mit den Aufständischen war zu diesem Zeitpunkt bereits im Gange. In Görlitz nahm man die Beteiligung von Katholiken am Aufstand zum Anlaß, um gegen die vermeintlich staatsfeindliche "Katholische Aktion" und ihre Mitglieder vorzugehen. "Man wird an jene Tage des Juli 1944 erinnert, als Himmler unter dem berüchtigten Gestapo-Kommissar Müller mit 400 Beamten ein Kommando für den 20. Juli bilden ließ", schrieb der Berliner Presseprälat Walter Adolph.
Was der katholischen Kirche in Ost und West blieb war das gemeinsame Gebetsgedenken. "Wir bleiben zusammen mit betendem Herzen", mahnte Fürst von Löwenstein 1958 auf dem Berliner Katholikentag. Die tägliche Fürbitte für die Einheit Deutschlands, an das der der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken erinnerte, wurde im im Rahmen des Angelus-Gebets ("Engel des Herrn") bis 1989/90 und darüber hinaus praktiziert. Es hat bis heute an Aktualität Nichts verloren: "Daß Du Deiner heiligen Kirche die Freiheit, unserem Volk die (innere) Einheit und der Welt den Frieden verleihen wollest, wir bitten Dich, erhöre uns."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 11.06.2003