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Bistum Erfurt

Gemeinschaft erlebt

Christen aus Thüringen beim Ökumenischen Kirchentag

Erfurt / Berlin -Die deutsche Hauptstadt gleicht einem Ameisenhaufen. Tausende Menschen schieben sich durch die Straßen rund um den Alexanderplatz, oder drängeln sich an den Hallen des Messegeländes. Und schon nach wenigen Stunden ist klar: Für dieses Ereignis gibt es keinen Superlativ mehr. Auch zahlreiche katholische Christen aus Thüringen haben sich nach Berlin aufgemacht, um am ersten Ökumenischen Kirchentag teilzunehmen.

Eine Gruppe Radfahrer war schon am 25. Mai von Arnstadt gestartet, um dann pünktlich zur Eröffnung in Berlin zu sein. Im Jugendzentrum am Tempodrom, dem steinernen Veranstaltungszelt am früheren Anhalter-Bahnhof, präsentieren sich die Jugendseelsorge, der Bund der Katholischen Jugend in Thüringen (BDKJ) sowie die Evangelische Jugend in Thüringen gemeinsam sowie die Pfadfinder. Unterwegs ist auch die Villa Lampe aus Heiligenstadt, sowie Vertreter des Centro, der offenen katholischen Jugendarbeit in Rudolstadt. In Halle 7 steht Geschichts- und Kunstlehrer Martin Müller mit den Schülerinnen Christiane Jurisch und Christin Peickert am Dingelstädt -"Wissen Sie, warum ich eine Rolle angenommen habe?", fragte die 80-jährige Mitspielerin, die bei dem Anspiel in der nachmittäglichen Feierstunde mitwirkte, die Referentin für Frauenseelsorge, Sabine Stephan. "Im letzten Jahr hatten sie mich nicht mitgenommen zur Frauenwallfahrt. Da musste ich zu Hause bleiben. Und da dachte ich mir, wenn ich mitspiele, dann müssen sie mich mitnehmen!" Mit ihr waren rund 2 000 Frauen per Bus, Bahn, Auto, Rad oder zu Fuß auf den Kerbschen Berg bei Dingelstädt zu ihrer Wallfahrt gekommen, die im Jahr der Bibel unter dem Thema "Begreife das Wort" stand. Das Wort begreifen -nicht nur mit dem Kopf und Verstand, sondern mit dem Herzen, war und ist die Einladung der Evangelisten, die nicht geschrieben haben, um unsere Neugier zu befriedigen, sondern um die Menschen zum Glauben an Jesus Christus zu führen. Aber die Evangelisten wussten: Zum Glauben kommt man nicht durch Papier und Druckerschwärze. Gott hat es anders gemacht: Er hat kein kluges Buch geschenkt, sondern seinen Sohn. Er hat nicht durch viele Worte erlöst, sondern durch das eine, bleibende Wort, das man mit Verstand und Herzen, mit den Augen und mit den Händen ergreifen kann. "Jesus Christus ist das Wort in den vielen Wörtern", sagte Bischof Wanke in seiner Predigt an die Wallfahrtsgemeinschaft. Gottes Wort sei nicht nur das geschriebene Wort in der Heiligen Schrift, sondern auch ein Wort hinter den Wörtern und Geschichten. "Um es zu begreifen, ist vornehmlich das Herz gefragt und nicht so sehr intellektuelle Höchstanstrengungen oder ein Doktordiplom", so der Bischof. Begreifen heißt aber auch: engen Umgang pflegen. So erreiche Gottes Wort unser konkretes Leben, taucht den Alltag in ein anderes Licht, in ein österliches Licht. "Ein Schriftwort, ein Gebetsruf als geistliche Tagesration", gab der Bischof den Wallfahrerinnen mit auf dem Weg. "Sucht einen Menschen, mit dem ihr so vertraut seid, dass ihr euch über eure ganz persönlichen Erfahrungen mit Gottes Wort austauschen könnt." Der Begegnung diente das anschließende mittägliche Picknick, ehe die Feierstunde begann. "Alles im Griff -auf dem sinkenden Schiff?" war der Titel des Anspiels, das in Anlehnung an die biblische Geschichte vom Seesturm verschiedene "Lebensstürme" ganz unterschiedlicher Frauen darstellte. Da gab es zum Beispiel die besorgte Mutter von flügge gewordenen Kindern, die unverstandene Kinderlose, die Stand der Edith-Stein-Schule. Auch die Bergschule St. Elisabeth aus Heiligenstadt war zu sehen. Eine Gruppe evangelischer und katholischer Christen aus Artern, Wiehe, Roßleben und Frankenhausen unternahmen am Samstag eine Tagesfahrt zum Kirchentag.

Der Erfurter Studentenseelsorger Christian Gellrich und Theologieprofessor Josef Freitag sind mit 35 Studenten aus Jena und Ilmenau dabei. Überhaupt ein besonderes Merkmal des Kirchentages: Jeder dritte Besucher ist ein Jugendlicher. Kirsten Recke, Studentin der Sozialarbeit, hofft vor allem auf neue Impulse beim Kirchentag, "Erfahrungen, die man mit nach Hause nehmen kann". "Die Konfession ist nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass man auch mal über den Tellerrand hinausblickt", sagt die Katholikin. Für den Theologiestudenten Liborius Hermann kommt es vor allem darauf an, dass die Kirchen wirklich Gemeinsamkeiten entdecken und das tun, "was sie zusammen tun können". Dieser Meinung ist auch Dominik Karolewski, der in Jena studiert und mit der Gruppe mitgefahren ist. "Wir sollten die Unterschiede akzeptieren." Und für Studentenpfarrer Christian Gellrich kommt es nicht nur auf die konfessionelle, sondern auch auf die religiöse Ökumene an -zum Beispiel bei der Friedenssicherung im Nahen Osten. "Wenn wir uns auf unsere gemeinsamen Wurzeln besinnen, lassen sich die Probleme lösen, wenn die politischen Mittel versagen."

Ein wahrer Publikumsrenner war der Stand des Bistums Erfurt auf der Agora (Marktplatz) in Halle 2 der Berliner Messe, an dem auch Bischof Joachim Wanke zu finden ist. Unter dem Motto des Pastoralkongresses: "Das Evangelium. Licht für uns - Licht für alle" konnten die Besucher wie bei einem Adventskalender ein Türchen öffnen, hinter dem sich ein Projekt des Bistums verbarg: Segnungsgottesdienst am Valentinstag, Lebenswendefeiern, Erfurter Stadtgespräch. "Interessant", meint eine junge Frau aus Baden-Württemberg, "und dann heißt es immer, im Osten gibts keine Christen mehr". Solche Aha-Erlebnisse hatten wohl viele in Berlin: Sich gegenseitig kennen lernen, Verständis zeigen, ins Gespräch kommen. Der ökumenische Kirchentag hat seinen Sinn erfüllt.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 23 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 16.06.2003

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