Entscheidend ist nicht wer die Zügel führt, sondern wie
Ein Beitrag von Pater Damian Meyer OP

Der dänische Theologe und Philosoph Sören Kierkegaard (1813-1855) bringt in einem eindringlichen Bild zum Ausdruck, was es heißt, sich vom Geiste Gottes leiten zu lassen: "Es war ein reicher Mann, der ließ im Ausland für einen hohen Preis ein Paar ausgezeichnete, makellose Pferde erstehen, die er zu seinem eigenen Vergnügen haben wollte. Es vergingen etwa zwei Jahre. Wenn einer, der diese Pferde vorher gekannt hatte, ihn nun sah, wie er mit ihnen fuhr, der hätte sie niemals wiedererkannt. Die Augen waren matt und schläfrig geworden, der Gang ohne Haltung und Straffheit; nichts konnten sie mehr ertragen, kaum dass sie noch eine Meile fahren konnten, ohne dass man unterwegs irgendwo einkehren musste. Ja, manchmal hielten sie an, gerade, wenn er recht schön dasaß und kutschierte; sie wurden launisch und störrisch, und obschon sie das beste Futter in Überfluss hatten, magerten sie doch ab von einem Tag zum anderen. Da ließ er den Kutscher des Königs kommen. Der fuhr sie einen Monat lang, und es gab in der ganzen Gegend kein Paar Pferde, das den Kopf so stolz erhoben trug; kein Paar Pferde, dessen Blick so feurig war, dessen Haltung so schön; kein Paar Pferde, das so aushalten konnte, wenn es sein sollte, sieben Meilen in einem Zug zu laufen. Woran lag das? Das ist leicht einzusehen: der Besitzer, der, ohne Kutscher zu sein, doch selbst Kutscher spielen wollte, der fuhr die Pferde nach dem Verstand der Pferde von dem, was fahren heißt. Der königliche Kutscher dagegen führt sie nach dem Verstand des Kutschers von dem, was fahren heißt."
Kierkegaard will sagen: Es kommt auch beim Menschen darauf an, wer die Zügel führt. Und Paulus sagt dasselbe mit anderen Worten: "Alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes" (Röm 8,14). Den Mut und die Kraft, die zum Glauben gehören, können wir uns nicht selbst geben. Im Bild: Wir selbst können guter Kupferdraht sein, aber der Starkstrom muss von außen zugeleitet werden. Wer seine Begabungen und Fähigkeiten unter die Führung des Heiligen Geistes stellt, wird erfahren: Ich wachse über mich selbst hinaus, ich kann viel mehr, als ich mir selbst zugetraut habe. Haben wir das nicht schon alle an uns selbst oder an anderen erfahren und uns gewundert, woher die Kraft und oft auch die Begeisterung zum Tun und Aushalten kommen? Der von Jesus versprochene Beistand, der im Glaubenden wohnende Heilige Geist, kennt den Menschen besser als er sich selbst. Er weiß, was er uns zumuten kann, wie der königliche Kutscher wusste, zu welchen Leistungen er die Pferde führen konnte.
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 16.06.2003