Entlang der alten Via regia
Gemeindepädagogin bereitet ökumenischen Jakobspilgerweg durch neue Bundesländer vor
"Zu Fuß gehen lässt Zeit. Und es schenkt Raum zum Zu-sich- Kommen, Nachdenken und Kontakt-Aufnehmen mit Gott." Diese Erfahrung hat Esther Heiße gemacht, als sie nach dem Abitur ein Jahr lang quer durch Deutschland wanderte. Als die junge Frau ein Jahr später während ihres Gemeindepädagogik- Studiums freie Tage in Spanien verbrachte und wanderte, stieß sie eher zufällig auf den alten Jakobspilgerweg nach Santiago de Compostela und machte dieselbe "heilsame Erkenntnis".
Seit einem Jahr nun ist die 25- jährige evangelisch-lutherische Religionspädagogin dabei, beson- ders im Blick auf junge Menschen den alten Jakobspilgerweg, der einst von Warschau und Krakau aus entlang der Königs- und Handelsstraße Via regia bis nach Santiago führte, in Mitteldeutschland wiederzubeleben. Wenn am 6. Juli nun die Strecke im sächsischen Königsbrück offiziell eröffnet ist, wird es möglich sein, auf einem mit der Jakobsmuschel ausgewiesenen Weg als Pilger von Görlitz, Leipzig, Erfurt bis ans Grab des Apostels Jakobus unterwegs zu sein.
Der Himmel als eigentliches Ziel
"Wandern, das bedeutet, den Aufbruch wagen, eine Wegstrecke bewältigen, mit eigenen Schwächen fertig werden", sagt Frau Heiße. "Wandern heißt abgewiesen werden oder Türen aufgetan zu bekommen, heißt Ankommen. Das hat für mich auch etwas mit dem Ziel des Himmelreiches zu tun", so die junge Frau. "Unsere Gesellschaft ist das Ziel abhanden gekommen. Lebenswege laufen diesseitsorientiert einfach so dahin. Doch für mich ist zum Leben immer auch der Gedanke an den Himmel notwendig." Weil sie nach der Schule auf der Suche war, wie es in ihrem Leben weitergehen soll, machte sie sich auf Wanderschaft quer durch Deutschland. "Ich wollte wissen, was mich trägt, wie es um mein Gottvertrauen steht, mich nicht unreflektiert auf den scheinbar vorgegebenen Lebenslauf Schule, Beruf, Familie einlassen, sondern zunächst meine Biografie verlangsamen und so in mein Leben aufbrechen", sagt die junge Frau, die aus einem evangelischen Pfarrhaus in Annaberg stammt.
Der Wander-Pilgerweg-Bild für das Leben
"Pilgern ist eine urreligiöse Art, seiner Sehnsucht Ausdruck zu geben", fährt die Religionspädagogin fort. Die großen Pilgerorte Jerusalem, Rom und eben auch Santiago de Compostela stehen in dieser Tradition. Martin Luther habe sich zu recht "gegen jeden Leistungsgedanken im Hinblick auf die Beziehung zu Gott ausgesprochen", so die evangelische Christin. Dem eigenen Glauben, der eigenen Suche nach Gott körperlich Ausdruck zu verleihen, wie es in der katholischen Kirche Tradition geblieben ist, sei jedoch gerade in einer Zeit der Technisierung und Beschleunigung des Lebens sehr sinnvoll. Und so stellt Frau Heiße unter evangelischen Mitchristen Offenheit für ihr Anliegen und ein "zunehmendes Interesse am Pilgern nach Santiago" fest. "Es ist gut, dass die religiösen Vorstellungen und Bedürfnisse über Konfessionsgrenzen hinweg wieder zusammen kommen", sagt sie.
Bei ihrem Bemühen, das Pilgern als Ausdruck des Glaubens gerade unter jungen Menschen in Mitteldeutschland bekannter zu machen, kommt es Frau Heiße nicht so sehr auf das Ziel -Santiago de Compostela -an. "Früher war Pilgern mehr zielorientiert, heute eher wegorientiert. Der Weg ist das Ziel", sagt sie. Mit der konkreten Frömmigkeit, die mit Santiago verbunden ist -der Verehrung der dort nach der Überlieferung bestatteten Gebeine des heiligen Jakobus -hat sie ein wenig Schwierigkeiten. Dennoch sind ihr mit dem Pilgerweg verbundene Gedanken der Buße und der imitatio Christi (der Nachahmung Christi) nicht fremd. "Heilige Orte sind mit einer starken Glaubenserwartung der Gottanwesenheit verbunden." Und: "Heilige sind Christen, die näher am Menschen und näher an Gott dran sind als andere. Meine Heilige ist Teresa von Avila."
Inzwischen hat die junge Frau, die für ein Jahr von der Robert- Bosch-Stiftung projektbezogen bezahlt wird und beim evangelischen Landesjugendpfarramt in Dresden angesiedelt ist, viele Vorbereitungen getroffen: Da galt es die Route -orientiert am Verlauf der alten Via regia -festzulegen, nach Unterkünften zu suchen, die Wegabschnitte von Herberge zu Herberge abzugehen. Während die Quartiere seit alter Zeit in kirchlicher Verantwortung waren, war die Via regia immer Sache des Königs, des jeweiligen Fürsten, so Frau Heiße. So hat die Gemeindepädagogin mit katholischen und evangelischen Gemeinden, Klöstern und Einzelpersonen Kontakt aufgenommen und ist auf offene Ohren gestoßen -zum Beispiel in der katholischen und evangelischen Gemeinde in Wurzen, wo sich Gemeindereferent Michael Pfeifer und Gemeindepädagoge Andreas Winkelmann um die Pilger kümmern werden.
Wegen der Kennzeichnung des Weges hat Frau Heiße viele Gespräche mit Kommunal- und Landkreisvertretern geführt. In der Region Wurzen zum Beispiel engagiert sich nun der Muldentalkreis dafür. Etwa 1500 Schilder mit der Jakobsmuschel müssen zwischen Görlitz und Vacha angebracht werden, Frau Heiße ist dieser Tage selbst dabei. Zudem ist ein Wanderführer mit Beschreibungen von "Glaubensspuren am Weg", geistlichen Impulsen und Herbergsadressen entstanden, der beim Ökumenischen Kirchentag im Geistlichen Zentrum vorgestellt wird.
"Jeder trägt sein eigenes Thema in sich"
Ein besonderes Programm wird auf dem Pilgerweg nicht angeboten. Auch spezielle Gottesdienste gibt es nicht. "Man darf die Menschen nicht überfordern", sagt Frau Heiße. "Jeder trägt seine Themen in sich." Gemeinden und Klöster, die bei Vorlage des Pilgerausweises kostengünstig Herberge bieten, laden jedoch zum Besuch ihrer Gottesdienste und Veranstaltungen ein. Zudem sind Herbergsgeber bereit, Möglichkeiten zur Beichte und zum geistlichen Gespräch zu geben und den Reisesegen zu erteilen. "Viel passiert durch die Begegnung am Wegesrand", sagt Frau Heiße. Und: "Gehen lässt Zeit, auch zum inneren Beten."
Eckhard Pohl
Kontakt / Pilgerausweise / Spenden für die Ausschilderung:
Evangelisches Landesjugendpfarramt,
Tel. (03 51) 4 73 90 25 /
Jugendseelsorge Dresden,
Tel. (03 51) 3 36 46
E-Mail: pilgerweg@evjusa.de
Internet: www.oekumenischer-pilgerweg.de
AUS DER GESCHICHTE
Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens wurde im Mittelalter als Ziel von Millionen von Pilgern in einem Atemzug mit Jerusalem und Rom genannt. Heute prägen noch immer Pilger und Geistliche das Stadtbild, aber auch Touristen und Studenten, die den ganz speziellen Charme der Stadt für sich entdeckt haben.
Die Stadtgeschichte ist untrennbar mit dem Apostel Jakobus dem Älteren verknüpft. Schon der Name deutet darauf hin: Sant-Iago bedeutet: Heiliger Jakobus. Obwohl bereits Kelten und Römer an gleicher Stelle siedelten, wird die Stadtgründung auf die Entdeckung des Apostelgrabes zurückgeführt. Der christlichen Überlieferung zufolge hatte Jakobus sieben Jahre im spanischen Galizien das Evangelium verkündet. Von dieser Missionsreise nach Palästina zurückgekehrt, sei er in Jerusalem enthauptet worden. Seine Schüler hätten ihn in Galizien bestattet. Jahrhunderte später, im Jahr 813, habe ein Eremit das Grab entdeckt, geleitet von himmlischer Musik und Licht. Dieses Licht ist ebenfalls Bestandteil des Stadtnamens: Compostela oder campus stella bedeutet Sternenfeld.
Es dauerte nicht lange bis das Apostelgrab zu einem wichtigen Symbol für die Christenheit wurde. Man sah Jakobus als Schutzpatron der Pilger, aber auch als göttliche Hilfe im Kampf gegen die Mauren an. Pilger, vor allem einfache Leute aus Frankreich, Deutschland und auch England machten sich auf den beschwerlichen Weg. Die Pilgerstraße, der Jakobsweg, führt quer durch Europa. Angekommen, erhoffte man sich im Blick auf das ewige Leben Vergebung der Schuld, Linderung von Krankheiten, Erfüllung anderer Anliegen und Stärkung des Glaubens.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 24.06.2003