Jahrhunderte mit der Schrift gelebt
Gothaer Christen lesen noch bis zum Sonntag öffentlich aus der Bibel
Gotha -Wie kann man sein Licht besser auf den Leuchter stellen? Mit einer spektakulären Aktion machen die Christen in Gotha und Umgebung noch bis zum 29. Juni auf die Bibel aufmerksam, indem sie das gesamte Alte und Neue Testament öffentlich vorlesen.
Die Aktion begann am 25. Juni unterhalb des Schlosses Friedensstein, beim Denkmal Herzog Ernst des Frommen. Punkt 17.15 Uhr wurde durch Posaunenchoräle der offizielle Auftakt zur Tag- und Nacht-Bibellese eingeläutet, bei dem neben Landes- und Kommunalpolitikern sowie Kirchenvertretern die Präsidentin des Thüringer Landtages, Christine Lieberknecht, sprach. Sie ist Schirmherrin dieses einzigartigen Bibelmarathons. Im Anschluss daran wurden die ersten Kapitel der Bibel von verschiedenen Prominenten vorgetragen.
Weitere Leser, vom Teenager bis zum Senior, schlossen sich an: Schüler, Künstler, Unternehmer, Pfarrer, Angestellte, Hausfrauen, Arbeiter, Politiker, Lehrer, Arbeitslose, Beamte und Pensionäre. Sie alle bildeten insgesamt 47 Teams mit je drei Personen und übernahmen jeweils zwei Stunden Lesezeit von morgens um vier Uhr bis nachts um zwei Uhr. Und die Passanten, die vorüber kamen, staunten nicht schlecht. Sie waren als Zuhörer herzlich willkommen und konnten sich an Hand verschiedener Schriften über die Bibel informieren.
Die Bibel hat auch in Gotha eine gute Tradition. In mehr als zwölf Jahrhunderten Stadtgeschichte haben die Bürger Gothas erlebt, wie sie menschliche Gemeinschaft begründet und erneuert. So zeigt das Stadtwappen noch heute Bischof St. Gothardus, der einst in Gothas Gründungszeit über das Gothaer Land regierte, mit der Bibel in der Hand. Herzog Ernst der Fromme, der Begründer einer Adelsdynastie, die Königinnen und Könige in Europa hervorbrachte, hat nach den Wirren des 30- jährigen Krieges vor 400 Jahren im Gothaer Land auf der Grundlage biblischer Werte mit einer Landesordnung regiert, die als eine Musterverfassung vorbildhaft in jener Zeit war.
Stadt und Schloss wurden damals wieder aufgebaut und zukunftsträchtige Staatsreformen, besonders in der Bildungspolitik, durchgesetzt. Noch heute bezeichnen ihn Historiker als einen der bedeutendsten Herrscher seiner Zeit in Europa, der mit der Bibel in der Hand Politik gemacht hat. Nach der Wende wurde mit Mitteln der Gothaer Kulturstiftung sein Denkmal liebevoll restauriert. Es zeigt ihn mit der geöffneten Bibel in der Hand, in das Thüringer Land blickend.
Thomas Kubsa
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 26.06.2003