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Vom Wandel des siebten Tages

Eine Ausstellung in Leipzig zur Geschichte des Sonntags

Leipzig (kna) -Die einen verbinden mit ihm langes Ausschlafen und Frühstücken bis in den Nachmittag. Die anderen nutzen ihn zur Besinnung im Gottesdienst, für Verwandtenbesuche und lange Spaziergänge. "Jeder ist sein eigener Sonntagsexperte", sagt Helene Thiesen, Projektleiterin der Ausstellung "Am siebten Tag" zur Geschichte des Sonntags und heutigen Säkularisierungstrends. Die bereits im Bonner Haus der Geschichte gezeigte Schau ist jetzt bis Anfang Januar im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu sehen.

Durch die von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) angestoßene Debatte über eine Verringerung von Feiertagen, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken, dürfte auch die Ausstellung neue Aktualität erhalten. Denn der Sonntag als "Tag des Herrn" hat in der abendländischen Gesellschaft einen besonderen Stellenwert. An seiner Geschichte könne man daher auch den Wertewandel in der Gesellschaft ablesen, erklärt Thiesen. Nach ihren Worten geht es in der Ausstellung um die Frage nach der religiösen Bedeutung des Sonntags, seinen Ritualen sowie seinen Prägungen durch kulturelle und politische Institutionen.

Entstanden ist der Sonntag aus der Tradition des jüdischen Sabbat. Der Tag der strikten Arbeitsruhe beschloss die jüdische Woche. Für Christen wurde der Sonntag, der Tag nach dem Sabbat, dann wegen der österlichen Auferstehung Christi als erster und wichtigster Tag der Woche gefeiert. Schon die frühen Christengemeinden trafen sich sonntags zur Eucharistie. Kaiser Konstantin ordnete im Jahr 321 die volle Sonntagsruhe an und verbot jegliche Arbeit, außer der auf dem Feld. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil setzt die katholische Kirche einen stärkeren Akzent auf Muße, Freude und Erholung neben der Pflicht zur Teilnahme an der Messfeier.

Der Takt der Maschinen bestimmt die Zeit

Die Grundzüge einer traditionellen "Sonntagskultur" mit Gottesdienst und Familienspaziergang bildeten sich in der Zeit der Spätromantik und des Biedermeier zu Beginn des 19. Jahrhunderts heraus, berichtet Thiesen. Allerdings nur für die bürgerliche Gesellschaft, denn weder Bauern noch Arbeiter konnten sich während der Industrialisierung einen Ruhetag leisten. Thiesen: "Der Takt der Maschinen gab die Zeit der Ruhe und der Arbeit vor." Das änderte sich erst 1919, als das Sonntagsruhegebot in die Weimarer Reichsverfassung aufgenommen wurde. Daraufhin trat der Freizeitgedanke in den Vordergrund: Großstädter fuhren ins Grüne, Vereine hatten Hochkonjunktur.

Die Nationalsozialisten versuchten, den Tag ideologisch zu vereinnahmen. "Sie legten Veranstaltungen auf den Sonntag zur Zeit des Gottesdienstes", berichtet Thiesen. Bei "Eintopfsonntagen" etwa sollten die Menschen Volksgemeinschaft erleben. In der Nachkriegszeit dann entwickelt sich die Haltung der Deutschen zum siebten Tag der Woche unterschiedlich: In der Bundesrepublik lässt die kirchliche Bindung nach, der Gottesdienst gehört für viele nicht mehr zum Sonntagsritual. Wirtschaftwachstum und Arbeitszeitverkürzung sowie die Durchsetzung des arbeitsfreien Samstags ab 1956 bringen den Bürgern mehr Freizeit, im Klartext: Fernsehen und Auto, für immer mehr erschwinglich, bestimmen zunehmend die Wochenendgestaltung.

DDR-Familien verbrachten den Sonntag bevorzugt in ihrer Laube im Grünen -wenn sie nicht zur "Freiwilligenarbeit" wie einer Kartoffelkäfer-Großsuchaktion oder im Nationalen Aufbauwerk (NAW) aufgerufen waren. Durch die schrittweise Einführung der Fünftagewoche nach 1967 kam es immer stärker zum Rückzug ins Private. So hatte mehr als die Hälfte der DDRHaushalte Ende der 80er Jahre einen Garten. Der Spruch "Freitag nach eins macht jeder seins" wird zum sprichwörtlichen Ausdruck einer individuellen, politikfernen Freizeitgestaltung. "Dort konnte Privatheit im Sozialismus gelebt werden", sagt Thiesen. Die Menschen zogen sich in Nischen wie Fußball- und Karnevalsvereine zurück oder pflegten am Wochenende gar eine Existenz als "Freizeitindianer".

Heute können sich nach offiziellen Schätzungen rund sechs Millionen Arbeitnehmer -15 Prozent aller Beschäftigten -nicht dem sonntäglichen "süßen Nichtstun" widmen. Von einer "Erosion der Bedeutung des Sonntags", des "Tags der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung" laut Artikel 140 des Grundgesetzes, könne aber nicht gesprochen werden, meint Thiesen. So votierten bei einer Allensbach- Umfrage mehr als drei Viertel der Befragten für die Beibehaltung des Tags als Wochenhöhepunkt -als Tag, an dem man Freunde trifft und gemeinsam etwas unternimmt. Frei nach Cindy und Bert: "Immer wieder sonntags ...".

Die Ausstellung mit begleitendem Filmprogramm im Zeitgeschichtlichen Forum (Grimmaische Straße 6) ist bis zum 4. Januar 2004 dienstags bis freitags von 9 bis 18 Uhr (am Wochenende ab 10 Uhr) zu sehen. Der Eintritt ist frei. Der Katalog kostet 19,90 Euro. Informationen im Internet: www.hdg.de

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 26 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 26.06.2003

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