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Auf zwei Minuten

Wenn einem die Pferde durchgehen

Ohne unsere Leidenschaften wären wir nur halbe Menschen

Pater Damian

Das biblische Buch der Sprichwörter enthält Jahrtausende alte Weisheiten, die auch heute ihre Gültigkeit nicht verloren haben. Der Weise beobachtet genau die alltäglichen Abläufe des Lebens und der Welt und gewinnt so viel Erfahrungswissen und Sachverstand, dass er damit sein Leben meistern kann. "Gesucht wird nach dem in der Natur und im menschlichen Leben verborgenen göttlichen Ordnungsprinzip, das als Weisheit bezeichnet wird." (Burkhard Hose).

Es geht nicht um hohe theologische Einsichten, sondern um praktische Lebensregeln, wie Reden, Schweigen, Essen und Trinken, Umgang mit Geld und Besitz, Arbeit und Fleiß, Gesundheit, soziales Verhalten. Der Weise hat das rechte Maß für sein Tun und Lassen gefunden. Hier ein Beispiel: "Der Langmütige ist immer der Klügere, der Jähzornige treibt die Torheit auf die Spitze. Ein gelassenenes Herz bedeute Leben für den Leib, doch Knochenfraß ist die Leidenschaft" (Spr. 14,29-30).

Wir alle haben reiche Erfahrungen mit unseren Emotionen, und manchmal haben wir die Grenzen zwischen "berechtigtem Zorn" und schädlichem Jähzorn überschritten. Dann richten wir oft Schaden an, der nur schwer oder gar nicht zu reparieren ist. Im Jähzorn schaden wir nicht nur dem anderen, sondern auch uns selbst. Der biblische Schriftsteller spricht vom Knochenfraß. Ohne unsere Emotionen, unsere Leidenschaften, aber wären wir nur halbe Menschen und hätten auch keine Kraft, keinen Schwung, uns für das Gute einzusetzen und uns gegen das Unrecht zu wehren.

Es wäre auch auf die Dauer schädlich, unsere Emotionen zu unterdrücken, zum Beispiel unseren Ärger in uns hineinzufressen. Der mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin hat sich ausführlich mit den menschlichen Leidenschaften beschäftigt. In seiner "Summe der Theologie", sagt er: "Die Leidenschaften sind an sich weder gut noch böse. Denn für den Menschen bestimmt sich gut und böse gemäß der Vernunft. Darum können die Leidenschaften, in sich betrachtet, sowohl gut als auch böse sein, da sie ja der Vernunft entsprechen oder ihr widerstreiten können."

"Gemäß der Vernunft" zu handeln, das ist für die Alten die Grundlage des ethischen Handelns. So handelt der Weise, wie er im Buch der Sprichwörter dargestellt wird. Hier wird klar, wer im Menschen die Zügel in der Hand behalten muss, damit ihm die Pferde nicht durchgehen. Thomas weist dem Zorn durchaus eine positive Rolle zu. "Zürnen ist, wie auch alle anderen Regungen der sinnlichen Begehrungskraft, dazu nutze, dass der Mensch leichter tue, was die Vernunft befiehlt. Sonst wäre die sinnliche Begehrungskraft vergeblich, während doch gilt, dass die Natur nichts Vergebliches macht."

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 26 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 26.06.2003

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