Erleichterungen nicht gefährden
Der 17. Juni 1953 und die Kirchen
Leipzig (tdh / epd / kna) -Im Gegensatz zur friedlichen Revolution im Herbst 1989 haben die Kirchen in der DDR während des Aufstandes vom 17. Juni 1953 eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Warum? Christoph Kösters von der Kommission für Zeitgeschichte Bonn erklärt das für die Verantwortlichen in der katholischen Kirche in einem Beitrag für unsere Zeitung (Seite 2) folgendermaßen: Nur eine Woche vor dem 17. Juni hatte die SED-Führung angekündigt, den massiven Kirchenkampf einzustellen. Die ostdeutschen katholischen Bischöfe wollten "die plötzlich und unverhofft eingetretenen Erleichterungen nicht gefährden", so Kösters.
Ausgangspunkt dieses Kirchenkampfs war 1952 die Zweite Parteikonferenz der SED. Hier hatte die SED die Umgestaltung der DDR in eine sozialistische Gesellschaft proklamiert. Alles, was ihr dabei im Wege schien, sollte fortan mit Willkür und Gewalt ihren Zielen untergeordnet werden. Das galt nicht nur für Parteien und Gewerkschaften, sondern auch für die Kirchen. Diese hatten sich ein großes Maß an gesellschaftlicher Eigenständigkeit bewahrt, was aber immer wieder zu Konflikten mit den Mächtigen in Staat und Partei führte.
Ab Sommer 1952 spitzte sich die Situation zu. Die FDJ eröffnete gegen die kirchliche Jugendarbeit eine Propagandaschlacht, die im Frühjahr 1953 ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß annahm. Damit einher ging die Einschüchterung junger Christen in Schulen, Universitäten und Ausbildungsbetrieben. Tausende wurden gezwungen, sich von den kirchlichen Jugendgruppen loszusagen. Andere, die dazu nicht bereit waren, verloren ihren Ausbildungsplatz oder entzogen sich dem Druck durch Flucht in den Westen. Diese Zwangsmaßnahmen gegen Jugendarbeit und Religionsunterricht sollten nun zurückgenommen werden. Das wurde -nach einem Gespräch zwischen der DDR-Regierung und der evangelischen Kirchenleitung -am 11. Juni in der SED-Zeitung "Neues Deutschland" angekündigt.
Einen anderen Grund für die Zurückhaltung der kirchlich Verantwortlichen führt Propst Heino Falcke, einer der führenden Köpfe der evangelischen Kirche in der DDR, an: Die Ereignisse liefen derart rasant ab, dass die Kirche "als schwerfällige Institution überhaupt nicht sachgemäß reagieren konnte." In den Tagen nach dem 17. Juni sei es dann aber ihre Aufgabe gewesen, sich für die Verhafteten einzusetzen sowie Aufständische zu verstecken und vor der Erschießung zu schützen.
Der heutige Bundesverkehrsminister und frühere Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche, Manfred Stolpe, verwies darauf, dass bei den kirchlich Verantwortlichen die Erinnerungen an das Nazi-Regime und die sowjetische Besatzung noch lebendig gewesen seien. "Das hat einige sicherlich verängstigt." Bis zur Wende habe die Meinung vorgeherrscht, "gegen Panzergewalt ist nicht anzukommen".
In den folgenden Jahrzehnten haben die Kirchen in der Auseinandersetzung mit dem SEDRegime eine wichtige Rolle gespielt. So haben sie dazu beigetragen, dass die Forderungen des 17. Juni 1953 in Erfüllung gegangen sind -wenn auch 36 Jahre später.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 01.07.2003