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Auf zwei Minuten

Sein Leben gewinnen

Wer sich von Christus und seiner Lebenspraxis nicht herausfordern lässt, verfehlt sein eigentliches

Pater Damian

Selbstverwirklichung, Selbstbehauptung und Selbstbestimmung sind allgemein anerkannte Werte unserer Gesellschaft. Das es sehr unbestimmte Begriffe sind, werden sie in der Praxis oft missbraucht und als sehr egoistische, rücksichtslose Verhaltensweisen verstanden. Es liegt ihnen ein starker Individualismus zugrunde, der sich auf Kosten des Mitmenschen durchsetzen will. Es gibt aber durchaus auch positive Aspekte der Selbstverwirklichung, die man auch als Christ bejahen kann und muss: Das Leben ist eine Aufgabe -"man muss etwas aus seinem Leben machen" -, es wird als zielgerichtet, nicht richtungslos, gesehen. Das Leben ist ein ständiger Prozess, nicht ein bewegungsloser Zustand.

Selbstverwirklichung und Selbstwerdung fordern aber die Begegnung mit dem Du des anderen und die Bereitschaft, in der Begegnung mit dem Du des Mitmenschen dem eigenen Ich gegenüber Abstriche zu machen. Das ist das Gesetz der Liebe, und ohne reife Liebe kann der Einzelne nicht zur Vollendung kommen.

Die Freude über die Freude anderer, ist ein Schritt zum wahren Leben

Ein Text des Muslimen Hazrat Inayat Khan hat mir geholfen, Selbstverwirklichung und Leben im christlichen Sinn besser zu verstehen: "Sterben ist dies: Ein Kind kommt zu seiner Mutter und bittet sie, ihm eine Frucht, eine Süßigkeit oder sonst etwas Gutes zu geben, das die Mutter selbst gern hätte. Sie gibt es dem Kind und freut sich am Essen des Kindes. Das ist eine Art Tod. Sie freut sich im Leben über die Freude anderer. Wer sich über die Freude anderer freuen kann, auch bei eigenem Verzicht, hat einen Schritt zum wahren Leben getan.

Wenn es uns gefällt, einem anderen ein gutes Kleidungsstück zu schenken, das wir selbst gern getragen hätten, wenn wir daran Freude haben, dann sind wir beim ersten Schritt. Wenn wir uns an etwas Schönem so sehr freuen, dass wir es gern besitzen möchten, und dann diese Freude einem anderen schenken und uns an seiner Erfahrung freuen, sind wir tot. Das ist unser Tod, und doch sind wir lebendiger als der andere."

Dieser Text führt uns heran an den Ausspruch Jesu: "Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen (Mt 10,39). Die wörtliche Übersetzung der Mattäusstelle heißt: "Wer sein Leben gefunden hat, wird es verlieren." Wer also nichts mehr suchen und nichts mehr verlieren will, wer keinen Grund mehr hat, sich weiter auf den Weg zu machen, wer sich von Christus und seiner Lebenspraxis nicht herausfordern lässt, der verliert, verfehlt sein eigentliches Leben.

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 24 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 01.07.2003

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