"Er hat schön gepredigt"
von Pater Damian
Ein gelehrter Mann, der einst Sabbatgast an Rabbi Baruchs Tisch war, sagte zu ihm: "Lasst uns nun Worte der Lehre hören, Rabbi, Ihr redet so schön!" "Ehe dass ich schön rede", antwortete der Enkel des Baalschem, "möge ich stumm werden!"(nach Martin Buber). Wir sind als Priester und Prediger dazu berufen, bei jeder Gelegenheit das Wort Gottes zu verkünden. Oft sind wir überfordert, haben nicht genug Zeit für die Vorbereitung und sind dann leicht in Gefahr, oberflächliche Vielredner zu werden. Eine noch größere Gefahr scheint mir darin zu liegen, das Ästhetische, die schöne Formulierung und die Rhetorik überzubetonen. Unser Reden aber ist Verkündigung der Wahrheit Gottes, die den Hörer treffen soll. Und dabei sind nicht immer wohlgesetzte Worte gefragt: "Verkündige das Wort, sei zur Stelle - gelegen und ungelegen -, rede ins Gewissen, ermahne mit aller Geduld und Belehrung!"( 2 Tim 4,2).
Ein Prediger muss zunächst selbst vom Wort Gottes, das er verkündet, betroffen sein. Und das überfordert ihn ständig. Er wird also nicht sagen können: Schaut auf mich, auf mein Beispiel, ich lebe euch die Nachfolge Christi vor! Es ist gut, dass in vielen Fürbitten der Messe auch für die Priester gebetet wird: "Lass sie glaubwürdige Verkünder des Evangeliums sein!" Der Prediger wird sich in die Reihe der bekennenden Sünder stellen, die dem Anspruch des Wortes Gottes nicht genügen. Nur so wird er nicht zum Schönredner, der das Wort Gottes nicht verinnerlicht, den es in seinem Herzensgrund nicht getroffen hat. Das Wort Gottes muss in uns allen Fleisch werden, sonst bleibt es bloßer Gedanke, bloße Idee oder wird zum Prinzip. Die folgende Stelle aus dem Tagebuch von Fridolin Stier betrifft nicht nur die Theologen und Prediger:
"Und dann kam das Wort Gottes zu einem namhaften Bibelgelehrten, dessen Buch vom Wesen und Wirken des Wortes Gottes demnächst erscheinen sollte. ,Sie kommen mir höchst gelegen', sagte der Professor, ,von meinem Buch haben Sie wohl schon gehört? Ich läse Ihnen gern einiges vor.' Das Wort Gottes nickte: ,Lesen Sie, Herr Professor, ich bin ganz Ohr.' Er las, es schwieg. Als er zu Ende gelesen, das Manuskript weggelegt hatte, sah er auf, und da sah er den Blick ... Er wagte nicht zu fragen. Endlich sprach das Wort Gottes: ,Meisterhaft, Herr Professor, mein Kompliment! Aber - ob Sie es wohl verstehen? Wissen Sie, als Objekt betrachtet, besprochen, beschrieben, wird mir seltsam zumute, grad, als ob ich meine eigene Leiche sähe ... Einmal schreiben Sie, und das finde ich sehr treffend, ich wolle primär nicht Wahrheiten offenbaren (für wahr zu haltende Wahrheiten, sagten Sie), ich wolle vielmehr den Menschen selbst. Das wär's, Herr Professor, das!' Und da war wieder der Blick. Das Wort Gottes erhob sich und schritt zur Tür. ,Was wollen Sie von mir?' schrie der Professor ihm nach. ,Sie will ich', sagte das Wort Gottes, ,Sie!' Die Tür schloss sich leise."
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 23.05.2001