Gott liebt mich und nimmt mich an, ohne dass ich ihm ständig neue Leistungen vorweisen muss
Vor Ihm müssen wir uns nicht ständig ins rechte Licht rücken
Als Leonardo da V../../inci an seinem großen Gemälde vom Heiligen Abendmahl arbeitete, hatte er nur das eine Ziel vor Augen, dass die Gestalt des Herrn Jesus sogleich alle Blicke auf sich ziehe und fessele. In einem Teil des Bildes befand sich aber ein ganz kleines Schiff, an dem er drei Wochen gearbeitet und auf das er viel Mühe verwendet hatte. Als nun das Gemälde fertig war und das Volk herbeiströmte, bemerkte Leonardo, dass die Leute sich hauptsächlich an der Ecke des Bildes zusammendrängten, wo das mit großer Sorgfalt gemalte Schifflein zu sehen war. "Seht nur, wie wundervoll", sagten sie zueinander. "Da sieht man, ein wie großer Maler er ist!" Da nahm Leonardo, als er abends allein war, seinen Pinsel und löschte mit einem kräftigen Strich das kleine Schiff für immer aus. Denn er sagte: "Niemand soll je wieder in meinem Bild auf etwas anderes seine Bewunderung richten als auf Jesus!"
Leonardo da V../../inci will sich nicht selbst und den Beweis seiner Fähigkeit in den Mittelpunkt stellen. Von sich selbst weist er weg auf die eigentliche Aussage des Bildes, auf Christus. Der große Mann zeigt Demut. Im Allgemeinen hat dieses Wort heutzutage keinen guten Klang. Es wird oft gleichgesetzt mit Verdemütigung, Unterwürfigkeit, Servilität, manchmal auch mit Heuchelei. Wer möchte sich nicht in ein gutes Licht setzen vor den anderen? Wer strebt nicht nach "Selbstverwirklichung"?
Was ist aber echte Demut? Es ist eine höchst positive Grundhaltung des gläubigen Menschen, die seine wahre Stellung vor Gott und den Mitmenschen anerkennt. Der Demütige nimmt vor Gott sein Geschaffensein aus Erde an und damit seine Vergänglichkeit und Begrenztheit in jeder Hinsicht. "Sich dieser Tatsache, ein aus Erde (lateinisch: humus) von Gott geschaffenes Lebewesen zu sein und entsprechend zu leben, das ist letztendlich Demut (lateinisch: humilitas)" (Ulrich Dobhan). Wer demütig ist, nimmt sich immer wieder selbst an mit seinen Licht- und Schattenseiten. Er sagt ja zu sich und überlässt sich nicht einer Illusion über sich selbst. Das heißt dann auch: Der Demütige sieht sich nicht selbst als unfähig an, als könne er nichts leisten und wolle lieber nichts leisten. Er ist überzeugt: Gott liebt mich und nimmt mich an, ohne dass ich ihm ständig neue Leistungen vorweisen muss. Er kann in Freiheit und ohne Arroganz seine Fähigkeiten, die er realistisch einschätzt, einsetzen im Dienst an den Mitmenschen. Er hat es nicht nötig, sich ständig mit anderen zu vergleichen und sich an ihnen zu messen.
Was echte Demut im Sinne von "Dienst-mut" ist, zeigt uns Jesus durch die Symbolhandlung der Fußwaschung. Ein philipinischer Schriftsteller berichtet: "Noch heute sehe ich meinen greisen Vater, wie er den Arm um mich legte und sagte: ,Dein Großvater hatte ein gutes, altes Wort, das ich oft von ihm gehört habe: Je höher der Bambus wächst, desto tiefer beugt er sich. Daran sollst du immer denken, mein Junge.'"
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 01.07.2003