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Aus der Region

"Wir haben Angst vor dem, was auffällt"

Berliner Migrationsexpertin geht nach Brüssel: Interview mit Schwester Cornelia Bührle

Frage:: Schwester Bührle, zehn Jahre haben Sie erfolgreich den Berliner Erzbischof beraten. Jetzt wechseln Sie nach Brüssel ins Europa-Büro des Jesuiten Flüchtlingsdienstes. Ihre Stelle wird nicht wieder besetzt. Kann es sich das Erzbistum Berlin leisten, darauf zu verzichten?

Bührle: Kardinal Sterzinsky hat vor zehn Jahren als einziger Bischof weltweit eine solche Stelle einer Migrationsbeauftragten eingerichtet. Dass er das Thema so wichtig genommen hat, dafür muss man dankbar sein. Eine Neubesetzung wäre aber zweifellos wünschenswert und auch notwendig gewesen.

Frage:: Was ist der größte Erfolg Ihrer Arbeit?

Bührle: Dass bei "heißen" Themen der Ausländer- und Asylpolitik der Widerstand in der verfassten Kirche und auch bei den Gläubigen gebändigt werden konnte. Mir sind keine Steine in den Weg gelegt worden. Hierfür bin ich sehr dankbar.

Frage:: Wo lagen die Konflikte?

Bührle: Meine Arbeit hat ja leider sehr viel Konflikt mit den Unionsparteien mit sich gebracht. Das wurde sicher vielerorts in der katholischen Kirche gar nicht gerne gesehen. Dennoch ist es gelungen Positionen, die auf dem christlichen Menschenbild beruhen, mit Rückgrat zu entwickeln und zu verteidigen.

Frage:: Und was waren Niederlagen in den vergangenen zehn Jahren?

Bührle: Dass es bis vor kurzem leider kaum zu guten und fruchtbaren Kontakten zur CDU/CSU gekommen ist.

Frage:: Deutschland hat noch immer kein Zuwanderungsgesetz. Woran scheitert eine moderne Migrationspolitik in Deutschland?

Bührle: Die Verantwortlichen sorgen sich vor irgendwelchen dumpfen Ängsten, dass Ausländer Arbeitsplätze wegnehmen oder ähnliches. Gegen solche Gefühle wird zu wenig argumentiert. Es muss tatsächlich von einem Scheitern dieser Politik gesprochen werden.

Frage:: Wer ist Schuld daran?

Bührle: Schon in der Regierung Kohl gab es Widerstände, aber die Überzeugungsarbeit hat gefruchtet. Der Einschnitt war die Staatsbürgerschafts-Kampagne von Roland Koch, die den Diskussionsprozess in der Union und zwischen den politischen Parteien nachhaltig zurückgeworfen hat. Dieser Schreck sitzt noch heute vielen im Nacken, vor allem der SPD und den Grünen.

Frage:: Was werfen Sie Roland Koch konkret vor?

Bührle: Täuschung der Öffentlichkeit. Es wurde so dargestellt, als ob doppelte Staatsbürgerschaft doppelte Rechte bedeutet. Das ist einfach falsch. Damals hieß es, wo sind die Listen, auf denen man gegen Ausländer unterschreiben kann. Dagegen hat Roland Koch nicht das Wort erhoben.

Frage:: Wie muss man mit den Sorgen der Menschen umgehen, dass sich die Gesellschaft durch den höheren Ausländeranteil verändert?

Bührle: Man muss sie ernst nehmen. Wir sollten aber nicht nur dort hin schauen, wo die Integration problematisch ist, sondern auch dahin, wo sie gelungen ist. Die Portugiesen sind kein Problem, die Griechen nicht, die Schweden nicht. Wir haben drei Problemgruppen: diese liegen im Bereich der Araber, der jetzt jungen Türken und der jungen russischen Familienangehörigen der Spätaussiedler. Diesen Gruppen müssen wir helfen sich zu integrieren.

Frage:: Wie soll das gehen?

Bührle: Zielgruppenorientierte Projekte. Im Übrigen: Alle reden von Integration, aber niemand sagt so richtig, was das bedeutet. Nehmen wir zum Beispiel die Chinesen, die Restaurants betreiben und in Familienclans leben. Das ist eine Gruppe, von der man wirklich nicht sagen kann, sie sei integriert. Aber es regt sich seltsamerweise niemand darüber auf.

Frage:: Warum nicht?

Bührle: Weil die Chinesen unsere Mentalität gut verstanden haben. Uns geht es insoweit eigentlich nicht um Integration, sondern um Nicht-Auffallen. Daher rühren auch die Ängste. Wir haben vor dem Angst, was auffällt. Zum Beispiel vor einer Gruppe lauter türkischer Jugendlicher in der U-Bahn, die in einer fremden Sprache spricht.

Frage:: Sie sind bekannt geworden durch das Thema der so genannten Illegalen. Was hat sich bewegt durch Ihr Engagement?

Bührle: Zusammen mit vielen anderen ist es uns gelungen das Thema so zu platzieren, dass alle verstanden haben: Illegale sind nicht von vorne herein Kriminelle. Es ist ein Erfolg, dass sich die Zuwanderungs-Kommission von Rita Süßmuth und Hans-Jochen Vogel in fast allen Teilen den Forderungen der zuständigen Kommission der Bischofskonferenz angeschlossen hat. Nur umgesetzt wurden sie nicht -wie viele andere gute Vorschläge der Süssmuth-Kommission.

Frage:: Auf nach Brüssel. Was werden Sie dort machen?

Bührle: Ich werde als so genannte "Policy Officer" beim Europa-Büro des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) arbeiten. Meine Hauptaufgabe ist es, die politischen Positionen zur Flüchtlingspolitik der 20 JRS-Büros in Europa zu koordinieren. Daraus ergibt sich dann die Lobbyarbeit bei den europäischen Institutionen und in der Öffentlichkeit.

Frage:: Was ist ein konkretes Ziel?

Bührle: Die Harmonisierung des Flüchtlingsrechts. Auf keinen Fall darf es eine Regelung in Europa geben, die hinter der Genfer Flüchtlingskonvention zurückfällt.

Interview: Volker Resing

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 30 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Samstag, 26.07.2003

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