Kinderarm und arm durch Kinder
Sozialverbände befürchten dramatischen Anstieg der Kinderarmut in Deutschland
Erfurt (as) -Die Sozialverbände in Deutschland schlagen Alarm: Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat die von der Bundesregierung geplante Agenda 2010 als "massivsten sozialpolitischen Kahlschlag seit Bestehen der Bundesrepublik" bezeichnet. Gemeinsam mit dem Deutschen Kinderschutzbund warnte er vor den Folgen des Sozialabbaus vor allem für Kinder und Jugendliche.
Die Situation scheint nicht annähernd dramatisch beschrieben: Nach Angaben des Kinderschutzbundes müssen 700 000 Minderjährige in Deutschland regelmäßig arbeiten gehen, um zur Ernährung der Familie beizutragen. Jedes 15. Kind in Deutschland lebe unter der Armutsgrenze. Hauptursache sei vor allem Arbeitslosigkeit der Eltern sowie allein Erziehende, die sich oft überfordert fühlten, Beruf und Versorgung der Kinder unter einen Hut zu bringen.
Für Kurt Herzberg, Familienseelsorger im Bistum Erfurt und Thüringer Landesgeschäftsführer des Katholischen Familienbundes, kommt die Entwicklung nicht überraschend. "Die Familienverbände weisen seit Jahren auf die Probleme hin", so Herzberg, und forderten eine "nachhaltige Familienförderung". Auch die Agenda 2010 habe weniger die Familie als wirtschaftlichen Kriterien im Blick. So sei die Koppelung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zwar sinnvoll, entscheidend sei jedoch, an welchem Niveau man sich dabei orientiere.
Der Familienbund erinnere dabei immer wieder an eine wirksame Familienförderung zum Beispiel in Form eines angemessenen Kindergeldes oder des Familiengeldes, das die Familienarbeit auch gesellschaftlich aufwerten würde. Das eigentliche Problem sieht Herzberg aber darin, dass die Bereitschaft, Kinder in die Welt zu setzen, wegen des Armutsrisikos in Deutschland weiter schwindet. "Kinderarm und arm durch Kinder", bringt er die gesellschaftliche Situation auf den Punkt.
Und die Armut in den Familien hat Langzeitfolgen. In Deutschland, so der Leiter des Berufsverbandes der Kinderund Jugendärzte, Klaus Gritz, litten auf Grund sozialer Benachteiligung rund 600 000 Kinder an Fehlernährung, Infektionen und Depressionen. Wie die nationale Armutskonferenz belegt, geht Armut außerdem mit einem erhöhten Krankheitsrisiko einher. Dabei besteht keine einseitige Beziehung, sondern ein Teufelskreis. Bei Erwachsenen mit chronisch schlechter Gesundheit besteht ein höheres Armutsrisiko. Wer als Kind in Armut aufwächst, hat eine schlechtere Gesundheit und somit auch schlechtere Startchancen im Leben. Auch Sprachauffälligkeiten, Sprachstörungen sowie Koordinationsprobleme und Übergewicht treten öfter bei armen als bei nicht armen Kindern auf.
Auch der Deutsche Caritas- Verband fordert nun durchgreifende Maßnahmen zur Eindämmung der wachsenden Armut von Kindern. Die von der Bundesregierung vorgenommenen Maßnahmen griffen auch nach Meinung des Verbandes katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) nicht genug. Die Aufgabe der politisch Verantwortlichen sei es, dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland unter "chancengleichen und nachhaltig förderlichen Bedingungen" aufwachsen können, heißt es.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 18.08.2003