Nicht vom Augenschein täuschen lassen
Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Cottbus über ihre Situation / Trainingsmaßnahme der Caritas
Cottbus -Von Mai bis Juli fand in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Cottbus zum Thema "Resozialisierung -Anspruch und Wirklichkeit" eine soziale Trainingsmaßnahme für die jugendlichen und erwachsenen Häftlinge statt. Sie wurde von der Anlauf- und Beratungsstelle für Straffällige der Caritas in Cottbus im Rahmen des Projektes "Haftvermeidung durch soziale Integration" (HSI) angeboten. Das zweijährige Projekt wird vom Justizministerium des Landes Brandenburg und von der Europäischen Union finanziert. Im konkreten Fall absolvierten Caritas-Mitarbeiter und freiwillige Häftlinge acht Abendeinheiten von je zweieinhalb Stunden. Gemeinsam mit Diplom-Caritas- Sozialarbeiterin Beate Steige und Caritas-Sozialsekretär Johannes Ringelhann formulierten die Häftlinge Aussagen zur Innen- und Außenwirkung der Anstalt. Sie sind im Folgenden wiedergegeben.
"Vom Erscheinungsbild her ist die JVA Cottbus topp: Vor einem Jahr frisch eingeweiht, überwiegend Einzelzellen, architektonische Akzente, eine gut ausgestattete, helle und freundliche Turnhalle, Mehrzweckgebäude mit vielfältigen Möglichkeiten wie Computerkabinett, Kreativraum, Saal für Filmvorführungen ... Das ist wohl der Eindruck, den Besucher von der JVA mitnehmen", so die Häftlinge. "So entstehen Meinungen wie: ,Denen geht es besser als vielen anderen draußen.', ,Da muss man erst straffällig werden.', ,Das Geld sollte für anderes ausgegeben werden.'
Doch eine Anstalt sei kein ,schönes Wohnheim' und schon gar kein ,Luxushotel'." Aus Sicht der Teilnehmer des Seminares, so die Caritasmitarbeiter, war zu schließen: Die Häftlinge würden lieber (wesentlich) schlechtere, bauliche Bedingungen hinnehmen, um schon vom Äußeren her die Strafe auch als solche zu empfinden. Zudem würde dadurch ihrer Meinung nach außerhalb der Haftanstalt eher danach gefragt, ob die verhängten Strafen überlegt sind und das Strafvollzugsgesetz auch zugunsten der Gefangenen hinreichend Anwendung findet (Entlassung nach zwei Dritteln der Haftzeit, Resozialisierung, Wiedereingliederung, Recht auf Bildung und Arbeit). Dies würde langfristig dem Schutz der Bevölkerung insgesamt zugute kommen.
Viele Möglichkeiten der Anstalt könnten nicht richtig genutzt werden, da es an Personal fehlt, so die Häftlinge. "Was nützt die beste Turnhalle, wenn sie nur wenige Häftlinge pro Woche nutzen können? Was nützt ein Saal, in dem es keine Filmvorführungen gibt? Auch an Gesprächs- oder Therapiemöglichkeiten fehlt es, um sich mit der eigenen Tat und deren Ursachen wie Schulden, Sucht, Aggressivität auseinandersetzen zu können. Wie kann der Mensch dann lernen, akzeptable und praktizierbare Lösungsmöglichkeiten für künftige Konfliktsituationen zu finden?
Auch der äußerlich ,schöne' Knast schafft keine Heimat, keine Arbeit und erschwert die Auseinandersetzung mit den anderen Menschen und diversen Problemen", sagen die Häftlinge. Im Prinzip entstehe ein unüberwindlicher Graben: "Draußen heißt es: ,Denen im Knast geht es gut.' Drinnen bedeutet es: Jeden Tag neu kämpfen gegen Resignation, Etwas-ändern-zu-wollen, es-allein- nicht-zu-können, aber-auchwenig- Möglichkeit-der-Hilfezu- haben. Die Folge sind wachsende Aggressivität und geringe Chancen, sie kontrolliert entladen zu können. Da der gesetzliche Anspruch auf Resozialisierung wegen Ursachen wie Personalmangel und Finanzknappheit von der JVA nicht ausreichend realisiert werden könne, sei nachvollziehbar, dass ein Teufelskreis entsteht: "Mensch in der JVA -Entlassung nicht ausreichend vorbereitet (Wohnung, Arbeit, soziale Kontakte, persönliche Probleme nicht bearbeitet.) -Mensch kommt wieder in Problemsituationen -Mensch hat nur "alte" Lösung -Mensch wieder in der JVA.
Ein Wunsch aller Teilnehmer am sozialen Training ist deshalb: "Sehen Sie nicht nur das Augenscheinliche! Fragen Sie, was mit den Menschen passiert!"
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 25.08.2003