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Aus der Region

Der Regierung ins Reisegepäck

Bischof Marx und Minister Clement streiten um gerechteren Welthandel

Berlin - Persönlich verstehen sie sich sehr gut. Nur wie das mit dem Welthandel gerechter werden könnte, da haben sie etwas unterschiedliche Vorstellungen. Dem einen geht es zu langsam, der andere warnt vor Illusionen. Bischof Reinhard Marx und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement kennen und schätzen sich aus gemeinsamen nordrhein-westfälischen Zeiten. Seitdem können sie auch gut miteinander streiten. In der vergangenen Woche hat der Trierer Oberhirte den SPD-Politiker zu einer Tagung eingeladen, um über die nächste Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) im mexikanischen Cancun zu diskutieren - und um seine Forderungen an die Bundesregierung gleich direkt abzuliefern.

Große Erwartungen

"Um den Handel in der Welt gerechter zu gestalten, müssen deutliche Korrekturen an den bestehenden Abkommen der Welthandelsorganisation vorgenommen werden", erklärte Marx, der als Vorsitzender der Deutschen Kommission von Justitia et Pax sprach. Um zu einer "gerechten Globalisierung" zu kommen, müsste die laufende Verhandlungsrunde zu einer "echten Entwicklungsrunde" werden. Und Marx gab dem neben ihm sitzenden Clement noch eine persönliche Ermahnung mit: "Wir haben große Erwartungen an Sie als Bundesminis-ter und als engagierten Chris-ten."

Von Marx lässt sich Clement so etwas sagen. Er, der Bundesminister, der bei den Verhandlungen in Cancun dabei sein wird, reagierte auf die Forderungen durchaus auch mit Zustimmung. "Es ist richtig und wichtig, dass die Kirche Druck auf die Verhandelnden ausübt", sagte er. Und persönlich: "Aber auch als Katholik bin ich in einigen Fragen anderer Meinung."

Marx forderte, dass die Entwicklungsländer generell mehr Spielräume erhalten müssten, um den ärmsten Bevölkerungsschichten zu helfen. Außerdem müssten die Industriestaaten endlich ihren Ankündigungen nachkommen, Handelsbeschränkungen im Agrar- und Textilbereich zu lockern. Ein Fortschritt sei da noch nicht erkennbar, so der Bischof. Es sei ein "Trauerspiel" wie sich die Industrieländer seit dem letzen Treffen in Doha 2001 verhalten hätten.

Das Treffen im September gilt als Prüfstein dafür, wie ernst es die Industriestaaten mit ihrer Ankündigung halten, den Entwicklungsländern mehr Chancen auf dem Weltmarkt einzuräumen. Bischof Marx ist dabei allerdings nicht sehr optimistisch. Die Tagungsordnung, die für Cancun im Gespräch sei, stimme ihn nicht hoffungsvoll, so der Bischof. Die entwicklungspolitische Agenda, die aus kirchlicher Sicht von den Politikern abgearbeitet werden müsste, ist hingegen lang. Marx appellierte eindringlich an die Industriestaaten, die Menschen in den schwächeren Ländern nicht auszubeuten und insbesondere nicht genetisches Wissen zum Beispiel mit Blick auf das Saatgut und das Leben selbst patentierbar zu machen, ohne dass die Betroffenen einen Nutzen hätten. Zugleich forderte der Bischof eine Gewährleistungspflicht von Staaten für die Grundversorgung der Bürger mit Wasser, Gesundheit und Bildung sowie einen verbesserten Zugang von Länder in Notlagen zu notwendigen Medikamenten.

Einzige Chance

Clement warnte vor einem Scheitern der Verhandlungen von Cancun. Das Schlimmste sei es, wenn Entscheidungen "auf die lange Bank" geschoben würden. Doch ohne Kompromisse sei eine weltweite Einigung nicht denkbar. Als bedrohlichste Gegenbewegung nannte er das Bemühen einiger Indus-trieländer, darunter an vorderster Stelle die USA, mit so genannten bilateralen Verträgen, das heißt mit Vereinbarungen zwischen zwei Staaten, die internationalen Regelungsbemühungen zu umgehen. "Wenn es zu keiner Einigung in Cancun kommt, wird es bald ein Netz aus bilateralen Verbindungen geben, in dem sich verbindliche internationale Standards nicht mehr durchsetzen lassen."

Diese Haltung ist unter Entwicklungspolitikern durchaus umstritten. Multilaterale Vereinbarungen seien nicht in jedem Fall besser als bilaterale, vor allem, wenn die Kompromisse nur die Interessen der reichen Länder berücksichtigten, heißt es etwa. Doch waren sich die Streit-Freunde Clement und Marx einig darin, dass der Verhandlungsprozess der Welthandelsorganisation die einzige Chance sei, entwicklungspolitischen Fortschritt überhaupt weltweit durchzusetzen.

Volker Resing

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 35 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 31.08.2003

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