Der Kommunismus steckt noch in den Köpfen
Der Papst besucht die Slowakei
Aus allen Teilen des Landes machen sich jedes Jahr Hunderttausende auf den Weg. Viele pilgern eine ganze Woche lang durch das slowakische Bergland, in Gruppen, mit einem Kreuz an der Spitze, mit Rucksäcken, Schlafdecken, Isomatten und Plastikplanen. Großmütter und junge Frauen, Männer und kleine Kinder bevölkern die Straßen und Wege zum großen Marienheiligtum in Lecova (Leutschau) im mittelalterlichen Zips am Fuße der Hohen Tatra. Mehr als eine halbe Million Katholiken treffen sich jeweils am 1. Sonntag im Juli zum festlichen Gottesdienst in der Kathedrale, die den mit 20 Meter größten geschnitzten gotischen Hochaltar der Welt vorweisen kann. Seit acht Jahrhunderten versiegt der Strom der Pilger nicht; auch die 40 Jahre währende kommunistische Diktatur hat den tief verwurzelten Glauben der Slowaken nicht brechen können. Wenn Papst Johannes Paul II. vom 11. bis 14. September zum dritten Mal die unabhängige Slowakische Republik besucht, dann kommt er in ein ausgesprochen christliches Land.
Etwa 80 Prozent der Slowaken bekennen sich zum Katholizismus. Das ist statistisch verbürgt. Aber es stimmt ebenso, was ein profunder Kenner der Menschen und ihrer Angelegenheiten drastisch-resignierend feststellt: "Zur Wallfahrt kommen zwar 700 000 unserer Leute, aber steigen sie vom Kirchenberg hinunter, wählen sie kommunistisch", ist sich Bischof Rudolf Balaz von Banska Bystrica sicher. "Vergessen wir nicht, dass sich ein pseudo-katholisches Volk am Ende einer 40-jährigen babylonischen Gefangenschaft befindet. Die religiöse Praxis der Menschen im mittleren Lebensalter ist ausradiert. Als Väter und Mütter haben sie ihren Kinder nichts weiterzugeben", fügt er erklärend hinzu.
Die kommunistische Herrschaft hatte allerdings bei weitem nicht so verheerende Folgen für die Glaubenspraxis wie beispielsweise die im benachbarten Tschechien, von dem sich das Land zwischen den Beskiden und dem südlichen Erzgebirge im Jahre 1992 friedlich getrennt hat. Aber die harten Repressalien sind nicht ohne Blessuren geblieben. Das Bild von der babylonischen Gefangenschaft greift auch Jozefina Krizanova auf. "Es ist beinahe so wie bei den Juden in der Wüste. Man erinnert sich, dass sie es trotz allem gut hatten beim Pharao, sie hatten zu essen. Ein bisschen Brot von oben war gesichert. Jetzt fällt es vielen schwer, mit ihrer Freiheit etwas anzufangen. Die Leute waren es nicht gewohnt, ihre Meinung zu äußern aus tief verwurzelter Angst." Sie sieht es deshalb als "Missionsauftrag" des Slowakischen Christlichen Akademikerverbandes an, dessen Hauptausschuss sie angehört, "christliche Prinzipien zur Alltagspraxis zu machen, Glauben als Lebenshilfe zu vermitteln, Mut zur Selbstverantwortlichkeit zu entwickeln und dabei zu wissen, dass Gott mit uns ist".
Der Kommunismus sei zwar abgeschafft, aber seine Mentalität stecke noch tief in den Leuten drin, ist auch Pfarrer Marian Prachar aus Chrastany überzeugt. "Mit dem benachbarten Österreich haben wir vieles gemeinsam: Wird sind ein sehr gastfreundliches Land mit freundlichen Menschen. Der Nachteil: Wir sind nicht sehr anspruchsvoll. Deshalb haben es Diktaturen und Ideologien relativ leicht, sich zu behaupten, das Volk zu verführen." Und der Leiter der slowakischen Forschungsgruppe "Aufbruch" zitiert den slowakischen Staatspräsidenten Rudolf Schuster mit den Worten: "Ich bin immer noch ein guter Katholik und ein guter Kommunist." Es sei falsch gewesen, urteilt Prachar über die "Wende", einen Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen zu haben. "Die alten Kader sind wieder da: in einflussreichen Positionen in Wirtschaft und Politik."
Das spiegelt sich auch im Medienrummel unmittelbar vor dem Papstbesuch wider. Das Land ist am Scheideweg, in politische und gesellschaftliche Richtungskämpfe verstrickt. So hat beispielsweise die kommunistische Partei (KSS) ihren Abgeordneten verboten, an der Messe mit dem Papst teilzunehmen, wogegen kirchliche Verantwortliche jenen Politikern die Teilnahme untersagt haben, die sich für liberale Abtreibungsgesetze, die gegenwärtig in der Diskussion sind, einsetzen wollen. Slowakische Zeitungen fahren in diesem Zusammenhang schwere Geschütze gegen die katholische Kirche auf. Von "Vatikanisierung" über "zurück ins Mittelalter" bis hin zu "Gottesstaat katholischer Taliban" war bereits die Rede.
"Das ist die Stimme der alten Strukturen, die Propaganda gegen die Kirche machen", wiegelt Jozefina Krizanova ab. Für sie und ihre Familie jedenfalls ist der Besuch des Papstes ein großes Fest: "Wir freuen uns, den Heiligen Vater in unserem Heimatland begrüßen zu können. Er wird ein Zeichen der Einheit der katholischen Kirche setzen, des Zusammenhalts der Katholiken -und auch ein Zeichen für die Zukunft des Landes."
Und die ist so rosig nicht. Liberalisierung, Verwestlichung mit Konsumorientierung und der Jagd nach schnellem Geld, verbunden mit Korruption und mafiosen Strukturen, setzen sich allmählich durch. Das Wirtschaftsgefälle zwischen Stadt und Land ist enorm. Nach wie vor sind in der Slowakei prozentual doppelt so viele Menschen ohne Arbeit wie im benachbarten Tschechien mit seiner erfolgreichen Auto-, Schuh- und Bierindustrie.
Der hohe Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung spiegelt sich nicht in politischer Macht wider. Die Christlich-Demokratische Bewegung (KDH), die mit der Kommunistischen Partei (KSS) eine Koalitionsregierung bildet, stellt lediglich zehn Prozent der Abgeordneten. Nicht wenige Katholiken wünschen sich daher ein stärkeres politisches Engagement der kirchlichen Hierarchie bis hin zu konkreten Wahlempfehlungen, womit sich die Bischöfe allerdings zurückhalten. "Wir wollen nur eine normale Republik, in der wir selbstverständlich unsere Rechte haben wollen. Wir fordern sie nach dem Modell ein, das in der übrigen Welt Praxis ist", weist Bischof Balaz das Bild vom "Gottesstaat katholischer Taliban" zurück. Allerdings gibt es in der Bevölkerung starke Gruppierungen, die die Slowakei zwar nicht zu einem Kirchenstaat machen möchten, wohl aber zu einem stark kirchlich geprägten Staat. "Ich finde das nicht verkehrt", so die Journalistin Karin Bachmann, die aus der Bundesrepublik in das Land ihrer Väter zurückgekehrt ist. "Das passt irgendwie zur Slowakei, die ein sehr kleines, sehr familiär geprägtes Land ist." Und sie ist überzeugt, dass der Besuch des Papstes auch eine politische Willensbildung in diesem Sinne voranbringen wird.
Michael Dorndorf/kna
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 11.09.2003