Neue Heimat in alter Kneipe
Vor 50 Jahren kauften die Stolpener Katholiken eine Gaststätte und machten sie zum Zentrum ihrer Gem
Stolpen (mh) -Das Gebäude erinnert von außen eher an eine Kneipe als an eine Kirche. Und tatsächlich war das Schützenhaus in Stolpen eine Gaststätte. Im August 1951 kauften es die katholischen Christen und errichteten darin die Kapelle St. Michael, deren 50-jähriges Weihejubiläum jetzt gefeiert wurde. Die alte Kneipe wurde zum Zentrum der Gemeinde, denn ein halbes Jahr vorher war eine Pfarrvikarie gegründet worden.
Die katholische Gemeinde Stolpen hat eine im Osten Deutschlands typische jüngere Geschichte. Lebten nach der Reformation in der Region kaum noch Katholiken, wuchs ihre Zahl nach 1945 sprunghaft an. Grund war der Zuzug der Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie hatten Haus und Hof verloren, brachten aber meist ihren Glauben mit. "Als wir hierher kamen, haben die Leute die Türen zugemacht, als wären wir Zigeuner. Nur die Kirchen standen offen", berichtete Bischof Joachim Reinelt am Jubiläumstag von einem Gespräch mit einer alten Frau. Wie viele andere hat sie in der Kirche eine neue Heimat gefunden.
Auch die folgenden Jahre sind typisch. Die Gemeindemitglieder werden weniger. 1979 wird der letzte Pfarrer, Georg Wanzek, verabschiedet. Nach der Wende ziehen viele jüngere Leute weg, weil es keine Arbeit gibt. Im August 2001 geht die letzte Gemeindereferentin, Schwester Huberta Kuttner. Und seit 2002 gehört Stolpen wieder -wie vor 1953 -zur Pfarrei Neustadt.
Das Jubiläum der Kapellenweihe wurde trotzdem gefeiert -sogar mit einer Festwoche: Es gab Vorträge und ein Märchenspiel der Kinder, ein Gemeindefest und einen Festgottesdienst mit Bischof und Dresdner Kapellknaben. Der Bischof hat übrigens eine persönliche Beziehung zu der kleinen Kapelle: Sie war für ihn in jungen Jahren an Sonntagen oft die erste Station bei Radtouren in die Sächsische Schweiz. Jetzt machte er der kleiner gewordenen Schar Mut: "Stolpen braucht euer Glaubenszeugnis. Viele haben den Glauben vergessen. Aber ihr habt die Chance, neues Feuer zu entfachen."
40 bis 60 Gottesdienstbesucher kommen sonntags norma-lerweise nach Stolpen. Unter ihnen ist oft auch Erika Dürr, die Vorsitzende des gemeinsamen Pfarrgemeinderates Neustadt / Stolpen. Ihre Aufgabe, das Zusammenwachsen beider Gemeinden mitzugestalten, ist nicht einfach, gesteht sie. Da gibt es Angst vor Vereinnahmung oder die Schwierigkeit, Liebgewordenes aufzugeben. Zuversichtlich ist sie aber: Auch in 50 Jahren wird es hier noch Gemeinde geben. Das Wichtigste ist für sie, dass Kirche auch heute Heimat bieten muss. So wie die Vertriebenen nach 1945 hat das auch Erika Dürr erfahren, denn sie ist vor neun Jahren aus dem Westen Deutschlands nach Stolpen gezogen. Und so ist die Antwort, die sie zusammen mit dem Neustädter Pfarrer Piotr Olech im Vorwort der kleinen Festschrift auf die Frage gibt, was Kirche für Christen überhaupt bedeute, auch ein Stück eigener Erfahrung: "Kirche bedeutet Zuflucht, Geborgenheit, Schutz und vor allem Heimat!"
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 17.09.2003