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Bistum Erfurt

Aufstand gegen die Verflachung

Der Erfurter Bischof Joachim Wanke sieht gute Chancen für eine Neuevangelisierung

Das Licht auf den Leuchter stellen, die religiösen Saiten bei Nichtchristen "zum Klingen" bringen und sich damit als Kirche den Herausforderungen der modernen Gesellschaft stellen: Seit Jahren ist dies Anliegen des Erfurter Bischofs Joachim Wanke, der seit 1998 auch Vorsitzender der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz ist. Vor knapp zwei Jahren hat er in seinem Bistum die pastorale Aktion "Das Evangelium auf den Leuchter stellen -auch für Nichtchristen" ins Leben gerufen. Rechtzeitig vor dem im Oktober stattfindenden Pastoralkongress, der diese Anliegen fortführen und vertiefen soll, ist im St. Benno-Verlag ein neues Buch des Erfurter Bischofs erschienen. Unter dem vielversprechenden Titel "Gott ist größer, als wir glauben -Ermutigungen für Christen" versammelt der Band Predigten und Vorträge und fasst die inneren Schwerpunkte seines pastoralen Konzeptes noch einmal zusammen.

Die Zahl der Christen in Deutschland sinkt. Diese Entwicklung hat gerade im Osten ihre Hauptursachen in der DDR-Zeit, als der Atheismus zur Staatsdoktrin gehörte. Gottes Ruf scheint verstummt zu sein. Für Bischof Wanke ist dies jedoch nur die eine Seite der Medaille. "Müssen wir uns nicht selbst fragen: Liegt das nicht weithin an uns Christen? Wir haben nicht den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit in uns, der uns zu einem klaren Christus-Zeugnis befähigt". In der Christenheit brauche es heute die neue Überzeugung: Wenn Gott im Leben der Christen an die erste Stelle rückt, dann kommen alle anderen Dinge ins richtige Lot. "Schämen wir uns des Evangeliums nicht -es ist eine kostbare Gabe für jeden Menschen ..."

Aber, so Wanke, Gott ist kein Billigprodukt, das sich beliebig verramschen lässt. Zu einem echten Christsein braucht es den verantwortungsvollen Umgang mit der Freiheit, einer Bindung, die frei macht, und konsequente Entschiedenheit -und das bedeutet in der pluralen Gesellschaft, gegen den Strom zu schwimmen, Dinge zu tun oder zu lassen, die nicht up-to-date sind. Wie es in der Gesellschaft zugeht, hängt von jedem Einzelnen ab. Ob Kirche lebendig bleibt, entscheidet jeder mit. Dazu braucht es aber einer lebendigen Gottesbeziehung. Ungesagt schwebt über Wankes Texten das berühmte Wort Karl Rahners, dass der Christ der Zukunft ein Mystiker sein werde. Mystik nicht im heroischen Sinn, in der Exklusivität des religiös Außergewöhnlichen -Maßstab einer lebendigen Frömmigkeit bleibt der Alltag, die Gottessuche zwischen den "Kochtöpfen", wie die heilige Teresa sagt, oder zwischen den Computern.

Was tut Not? Jesus kennen lernen, sich von ihm ergreifen lassen und vor allem nicht mit den Fingern auf andere zeigen, sondern bei sich selbst anfangen. "Wie wäre es, in der eigenen Lebenswohnung aufzuräumen und sich vom seelischen Sperrmüll zu befreien. Von Unversöhntheit, Dauerstreit und angestautem Hass?" Und zu einem überzeugenden Christsein gehört die beständige und geduldige Suche nach Gott. "Wir müssen zuerst die Nähe des Herrn suchen, uns auf seine Freundschaft einlassen. Dann werden wir fähig sein, sein Wort zu verstehen und es zu beherzigen".

Die Chancen für eine Neuevangelisierung in einer weitgehend religionslos gewordenen Welt stehen für den Erfurter Bischof nicht schlecht. Allmählich merke der moderne Mensch, dass ihm die oberflächliche Freizeit- und Spaßkultur nicht auf Dauer befriedigen kann. Zunehmender Stress in der Arbeits- und Berufswelt, lassen immer mehr Menschen nach dem Sinn fragen. Dabei geht es nicht darum, in kulturellen Pessimismus zu verfallen, aber: "Nie war der Angebotsstress größer als heute. Nie waren auch die Überforderungssymptome des Menschen deutlicher erkennbar als jetzt ... Der heutige Modellmensch, wie ihn die Werbung gerne haben möchte und wohl auch schafft, ist bindungslos, flexibel, jederzeit wechselwillig. Aber der Aufstand gegen die Verflachung, gegen die Maßlosigkeit und die damit verbundenen Angst- und Stressphänomene hat längst schon begonnen". Das bedeutet Chance und Herausforderung für die Christen: die Stunde der Kirche. Wanke vermutet, dass die gesellschaftliche Entwicklung eine neue Sensibilität für personale Beziehungen, überhaupt für die Kategorie des Personalen und alles, was damit zusammenhängt, hervorbringen wird.

"Ich gehe davon aus, dass wir demnächst eine zunehmende Nachfrage nach Seelsorge und vermutlich auch Kirche haben werden. Es gibt Anzeichen für eine Re-Spiritualisierung der Gesellschaft. Das ist derzeit natürlich noch sehr diffus und verliert sich in Gebiete, die in die Esoterik und okkulte Praktiken hineinreichen ... Anders wiederum ist es im gewissen Sinn für uns als Kirche eine "Nachhilfe", etwa in dem Sinne, dass Menschen weniger moralische Belehrung suchen als Hilfen dafür, im Geheimnis Gottes daheim zu sein".

Andreas Schuppert

Joachim Wanke: Gott ist größer, als wir glauben; St. Benno-Verlag 2003, ISBN 3-7462-1652-4, Preis: 9,90 Euro

Ztat

Die größte Gefahr für unser Christsein geht nicht von Glaubenszweifeln aus, sondern vom pausenlosen Beschäftigtsein. Ich gebe zu: Unsere Welt ist "fordernder" und "lauter" geworden. Leistungsbereitschaft und Anpassungfähigkeit werden großgeschrieben -und keiner fragt, woher dafür die Kräfte kommen sollen. Wir werden mit Informationen zugeschüttet -und wissen doch oft nicht, was wirklich wichtig ist. Wir werden pausenlos unterhalten -und vergessen, wie es in unserem Innersten aussieht.

Es ist notwendig, Ruhezonen in unseren Alltag einzubauen und diese streng zu sichern. Freiräume für mich selbst, für den Ehepartner und die Familie, für Gott. Wie fängt mein Tag an, wie endet er? Gibt es die Chance, sich einmal ruhig mit den Angehörigen zu unterhalten -oder bin ich pausenlos gehetzt und entsprechen überreizt? Sichere ich mir feste Zeiten im Tages- und Wochenablauf für das Gebet, für das Lesen und Bedenken der Heiligen Schrift, für die geistliche Besinnung? Es darf durchaus auch Ablenkung und Unterhaltung in unserem Alltag geben, aber das Fernsehen beispielsweise darf nicht den Charakter einer "Besatzungsmacht" annehmen ... Unsere christliche Tradition kennt bewährte Wege der inneren Einkehr und Umkehr. Es gibt Angebote, Exerzitien mitten im Alltag zu machen, begleitet von einer Gruppe, die mich dabei unterstützt. Überlegt einmal in den Familien, in den Gemeinde- und Verbandsgruppen, wie wir uns gegenseitig helfen können, Freiräume zu sichern, in denen Gottes Geist in unseren Lebensalltag eindringen kann.

Bischof Joachim Wanke

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 0 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 17.09.2003

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