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Auf zwei Minuten

Weg und Ziel

Muss der Christ sich mit "Weltverachtung" ganz auf das Ziel konzentrieren ?

Pater Damian

Wer mit dem Auto schnell ans Ziel kommen will, nimmt gewöhnlich die Autobahn. Unsere Autobahnen sind Schnellstraßen, die uns nicht viel von der Landschaft sehen lassen: Die vorgeschriebene Mindestgeschwindigkeit, Bäume und Büsche und oft auch Schallschutzwände behindern den Blick in die Weiten neben uns. Und der Mittelstreifen verbietet die Ansicht der anderen Straßenseite. Es sind Straßen, die auf dem schnellsten Weg zum Ziel führen und den Autofahrer möglichst wenig ablenken wollen. Anders ist es bei kleineren Straßen, die sich durch eine schöne Landschaft winden ,beispielsweise die Romantische Straße, die Weinstraße, die Straße der Romanik. Wer auf ihnen fährt, hat es nicht so eilig. Er unterbricht die Fahrt an schönen Aussichtspunkten, schaut sich eine berühmte Kirche oder eine Burg an, staunt über eine bunte Wiese. Der Weg ist hier schon Teil des Zieles.

Das Motiv des Weges ist ein Symbol, das eng mit unseren Daseinserfahrungen verknüpft ist. Für alles, was einen Anfang und ein Ende hat, legt sich die Vorstellung vom Weg nahe: Die Wegstrecke unseres Lebens ist durch Geburt und Tod begrenzt. Als Christen glauben wir: Wir sind im Leben als Pilger unterwegs zu unserem letzten Ziel, unserer ewigen Heimat bei Gott.

Bedeutet das, dass wir wie auf einer Schnellstraße geradlinig dem Ziel entgegeneilen, ohne auf die Schönheiten am Weg rechts und links zu achten? Manche Heilige, die sich in strenger Askese geübt haben, scheinen das nahe zu legen. Und auch Paulus sagt: "Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung, die Gott uns in Christus Jesus schenkt" (Phil 3,14). Muss der Christ sich mit "Weltverachtung" ganz auf das Ziel konzentrieren? Darf er und soll er nicht auch auf die Schönheiten der Natur und das ganze bunte Leben um sich herum achten? Etwa wie der hl. Franz von Assisi, der als strenger Asket die Natur als Gleichnis für die Schönheit und Liebe Gottes erfahren hat? In einer Weisheitsgeschichte lässt Hans Kruppa den alten Amiro sagen: "Welchen Sinn hat es, mit starr nach vorn gerichtetem Blick durch die Landschaft des Lebens zu gehen, immer ein Ziel vor Augen, das es auf kürzestem Wege zu erreichen gilt, und dabei Blumen zu zertreten, ohne es zu merken? Wenn du das Leben wirklich erkennen willst, schaue immer wieder nach links und rechts, nach oben und nach unten. Bleibe öfter stehen, um einen schönen Augenblick oder Anblick mit allen Sinnen zu genießen." Ich glaube, dem kann man als Christ voll zustimmen, wenn man gleichzeitig einstimmt in das Tagesgebet einer Sonntagsmesse: "Führe uns in deinem Erbarmen den rechten Weg und hilf uns, die vergänglichen Güter so zu gebrauchen, dass wir die ewigen nicht verlieren."

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 20.10.2003

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