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Bistum Erfurt

Zu viele haben geschwiegen

In einem Brief an Papst Pius XI. hat Edith Stein schon 1933 die Verhältnisse in Deutschland angeklag

Das Schweigen gebrochen: Edith Stein

Erfurt -Sie hat wie viele unter den Verhältnissen in ihrer Heimat gelitten -und mit geradezu "tödlicher Sicherheit" prophezeit, wie das Dritte Reich mit Oppositionellen, Andersdenkenden, Demokraten und den Juden umgehen wird. Die Karmelitin Edith Stein (1891 bis 1942), die zusammen mit ihrer Schwester in die Todesbunker nach Auschwitz ging, hat 1933 in einem Brief an Papst Pius XI. die Verhältnisse in Deutschland angeklagt -ohne in Rom oder beim deutschen Episkopat auf nennenswerte Reaktionen zu stoßen. Das sagt Daniel Deckers, Theologe und Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), einem breiteren Publikum bekannt geworden durch seine Biografie über den Mainzer Kardinal Karl Lehmann. Der Journalist hielt am 15. Oktober beim diesjährigen Herbstlesefest der Edith-Stein-Schule, das traditionell von den fünften Klassen eröffnet und jetzt zum vierten Mal von der Elternvertretung vorbereitet wurde, den Festvortrag.

Der Brief Edith Steins war bis zum Februar diesen Jahres im Geheimarchiv des Vatikans aufbewahrt und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Für Deckers "ein skandalöser Umgang der vatikanischen Behörden" mit den Dokumenten, habe dies doch immer wieder Anlass zu Spekulationen gegeben. Dass dieser Brief von Edith Stein geschrieben wurde, war schon seit längerem bekannt. Aber, so Deckers, dessen brisanter Inhalt wirft nicht so sehr Schatten auf Papst Pius XI. und seinem Nachfolger Pius XII., sondern auf ihre deutschen Mitbrüder im Bischofsamt. Deckers These: Die deutschen Bischöfe haben bis auf wenige Ausnahmen wie dem Berliner Kardinal Konrad Graf von Preysing zu den Vorgängen in Deutschland unverhältnismäßig geschwiegen. Das lag zum einen an der relativ geschickten Taktik, mit der die Nazis es zunächst verstanden, der katholischen Kirche Versprechungen zu machen und versuchten, sie damit in die "nationale Bewegung" einzubinden. Zum anderen -und das ist nach Deckers Aussagen der Hauptgrund -waren die meisten "hochbetagten" Bischöfe gezeichnet vom Kulturkampf in Deutschland und haben damit einen Schutzmechanismus aufgebaut, der darauf aus war, mit der NS-Regierung zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit zu kommen. Ein fataler Fehler, wie man heute weiß, denn Hitler scherte sich um alles andere als um die Kirchen. Was bedrückt, ist die Tatsache, dass diese "Vorsicht" möglicherweise zum Tod tausender Menschen beigetragen hat. Deckers: "Es bleibt die Frage, wer für die Schuld an den Juden sühnt und wer das Leid der Gehassten und der Hassenden auf sich nimmt."

Der Brief Edith Steins mache deutlich, wie notwendig eine Haltung ist, die man heute gemeinhin als Zivilcourage zu bezeichnen gewohnt ist: Für die Kirche bedeute das, sich zu besinnen auf die ureigensten Aufgaben. Im Vollzug der Liturgie, dem Dienst an den Menschen und im lebendigen Zeugnis sei sie glaubwürdig. Edith Stein, die seit ihrer Jugend auf der Suche nach dem Sinn des Daseins war, schrieb 1916, dass sich überzeugtes Christentum nicht in der Gestalt von Büchern, sondern im Leben der Menschen zeige.

Andreas Schuppert

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 43 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 26.10.2003

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