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Aus der Region

Sichtbare Kirche!

Christliche Pioniertaten im Osten

Die Kirche der Zukunft steht vor neuen Herausforderungen. Sinkende Mitgliederzahlen und eine Vielzahl von Sinnangeboten sind nur einige Probleme, denen sie sich stellen muss. Einer, der das Metier kennt, ist Dr. Daniel Deckers, Theologe und Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), der Biograph von Kardinal Karl Lehmann. Der TAG DES HERRN sprach mit ihm über die Zukunft der Kirchen.

Frage: Herr Deckers, wie erleben Sie als katholischer Christ aus dem Westen Kirche und Christen in der Ex-DDR?

Deckers: Ich komme seit 1991 relativ häufig vor allem nach Thüringen. Und ich glaube, dass hier etwas passiert, was für die Kirche in Deutschland wegweisend ist: Der spürbare Versuch, auch Menschen den Zugang zur Kirche zu eröffnen, die unter normalen Umständen die kirchlichen Schwellen nicht überschreiten würden. Das ist etwas, was ich als eine Pioniertat bezeichnen würde: Lebenswendefeiern, Weihnachtslob, Valentinstag oder Totengedenken. Welche innere Kraft dieser Kirche innewohnt, obwohl sie zahlenmäßig klein ist, hat sich ganz deutlich auch in den Tagen nach dem Massaker am Gutenberg- Gymnasium in Erfurt gezeigt.

Frage: Im Osten gibt es mittlerweile ein geflügeltes Wort: Die Menschen haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben. Wie lässt sich diese Spannung kirchlicherseits auflösen, abgesehen von den Dingen, die es schon gibt?

Deckers: Der Osten mag gegenüber dem Westen das Gefühl haben, ganz anders zu sein. Aber wenn man etwa die Situation hier zum Beispiel mit der in Frankreich vergleicht, gibt es viele Ähnlichkeiten. In Frankreich ist in den letzten Jahren das Wort von der Visibilität, der Sichtbarkeit der Kirche, immer wichtiger geworden, verbunden mit der Erfahrung, dass Versuche großflächiger Missionierung verfehlt waren. Es geht erstmal darum, das eigene Erbe zu pflegen, sich seiner selbst gewiss zu werden oder zu bleiben und das auch sichtbar zu machen, sich sozusagen auszusetzen und angreifbar zu machen.

Frage: Sichtbarkeit hat aber etwas mit Hinschauen zu tun, auch mit der Bereitschaft dazu. Aus der Sicht des Zuschauers werden glaubwürdige Bilder zum großen Teil vom Fernsehen vermittelt. Liegt da eine Chance für die Kirche und wo kann und soll sie sich da einbringen?

Deckers: Mir scheint, dass die Kirche viele Orte hat, wo sie sozusagen von "ferne gesehen" wird. Es gibt ein schönes Wort von Jaques Brel über Flandern, wo Kathedralen anstatt Berge das Landschaftsbild prägen. Und es ist ja so, in Thüringen ganz deutlich, dass Kirchen weithin sichtbar sind. Diese Sichtbarkeit zu erhalten, zu pflegen und diese Kirchen anziehend und einladend zu machen. Das halte ich für einen großen Auftrag.

Frage: Wir haben in diesem Jahr in Deutschland einen ökumenischen Frühling erlebt: Bibeljahr, ökumenischer Kirchentag. Gibt es realistische Zeichen der sichtbaren Einheit der Kirchen -zum Beispiel im gemeinsamen Abendmahl?

Deckers: Das bin ich offen gesagt relativ skeptisch. Ich kann auch aus meiner Perspektive als katholischer Zeitungsredakteur oft nur sehr schwer erkennen, wer auf der protestantischen Seite offiziell für wen spricht. Die Katholiken müssen sich hier von manchen lieb gewordenen "Vorurteilen" verabschieden: Es gibt innerhalb des Protestantismus sehr, sehr unterschiedliche Strömungen, auch von einem unterschiedlichen Verständnis dessen, was Reformation bedeutet und wo die evangelische Kirche eigentlich hin soll. Die historisch gewachsenen und die Mentalität deutlich prägenden Unterschiede einfach wegreden zu wollen, halte ich für fatal. Ich denke, dass die Kirchen gut beraten sind, um mit Gustavo Gutiérrez zu reden, aus ihrer eigenen Quelle zu trinken und zu schauen, wie weit man gemeinsam gehen kann. Da gibt es, glaube ich, noch viel zu tun, ehe man zum Beispiel das Thema gemeinsames Abendmahl anpackt.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 44 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 02.11.2003

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