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Breites Bündnis zur gerechteren Verteilung von Arbeit nötig

Eine Reihe zur ethischen Diskussion (Schluss): Das Sozialwort und seine Folgen

Im letzten Teil dieser Serie, die Werner Schmiedecke für die evangelischen Kirchenzeitungen in Mitteldeutschland und für den TAG DES HERRN geschrieben hat, steht das gemeinsame "Sozialwort der Kirchen" im Mittelpunkt. Für den Verfasser, der ein bundesweites ökumenisches Netzwerk "Christen streiten für gerechte Verteilung von Erwerbsarbeit" gegründet hat, kommt diesem Papier eine besondere Bedeutung zu:

Während sich in den bisher betrachteten Dokumenten zum Thema die beiden großen Kirchen jeweils für sich äußerten, wurde das so genannte "Sozialwort der Kirchen" als ökumenischer Text entworfen, der kirchen- öffentlichen Diskussion ausgesetzt und schließlich unter Berücksichtigung der rund 2500 Eingaben fertig gestellt. Insofern stellt es mehr als andere Papiere die Meinung des Kirchenvolks dar.

Das Sozialwort steht erkennbar in der Tradition früherer Erklärungen von katholischer und evangelischer Seite und wertet die Arbeitslosigkeit als gefährlichen Sprengstoff für den Sozialstaat (19; die Ziffern geben den jeweiligen Abschnitt im Sozialwort an) und gravierendstes aktuelles, aber lösbares Problem (167). Bei der Suche nach den Ursachen dafür referiert das Sozialwort ohne eigene Bewertung gängige Erklärungen -vom technischen Fortschritt bis zur Globalisierung (60-66). Darunter auch: Das enorme Wachstum der Arbeitsproduktivität ist nicht durch Arbeitszeitverkürzung kompensiert worden. Nur einen Schritt weiter hätten die Fragen gelegen: Warum eigentlich nicht? Haben wir hier nicht ein Verteilungsproblem?

Die Zielstellung "Abbau der Arbeitslosigkeit" ergibt sich für das Sozialwort nicht allein wegen der sozialen Folgen, sondern auch weil das Recht auf Arbeit ein wichtiges Menschenrecht ist, solange Erwerbsarbeit der Hauptweg der Existenzsicherung ist (151). Ausdrücklich soll dieses Ziel vorrangig auf Wegen erreicht werden, die letztlich auf Wirtschaftswachstum bauen: wettbewerbsfähigere Arbeitsplätze, bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, Existenzgründungen (169-171). Erst danach nennt das Sozialwort das Umverteilen von Erwerbsarbeit, dabei schwankt es zwischen Befürwortung und Relativierung (172). Prizipiell sei es geeignet, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Abgesehen von den möglichen sachlichen Einwänden gegen den Vorrang der Wachstumswege, ist das Sozialwort hier auch in sich widersprüchlich, heißt es darin doch auch: "Mehr wirtschaftliches Wachstum allein wird ... nicht eine hinreichende Zahl an Arbeitsplätzen schaffen" (21). Außerdem wird die Idee, die Probleme durch bloße Anpassung an Globalisierungsbedingungen und Senkung der Lohnkosten zu lösen, als realitätsfern bezeichnet (146). Notwendig ist auch der kritische Hinweis: Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen verlagert das Problem höchstens an andere Stelle. Unter dem Strich ergibt sich kein Zuwachs an Arbeitsplätzen. Ganz offenbar wird dies, wenn alle Beteiligten ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern.

Als Adressaten für die notwendigen Änderungen der Rahmenbedingungen nennt das Sozialwort teils anonym Volksoder Marktwirtschaft oder gleich alle Akteure "gleichermaßen" -von der Politik bis hin zu Beschäftigungsinitiativen (168), obwohl doch die Legislative die entscheidende Verantwortung hat. Besonders fehlt ein solcher Satz bezüglich der Rahmenbedingungen für eine bessere Verteilung von Erwerbsarbeit. So ist das Sozialwort -bei aller sonstigen Qualität -hinsichtlich des Umverteilens von Arbeit nicht deutlich genug.

Das Sozialwort erfuhr zwar viel Würdigung, aber weder merkliche Umsetzung noch voranbringende inhaltliche Weiterführung. Zwei Veröffentlichungen seien hier genannt: Das Sozialwissenschaftliche Institut (SWI) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) brachte 2000 die Studie "Arbeitszeitpolitik gegen Arbeitslosigkeit?" heraus, die die Frage der Arbeitsumverteilung weiter bearbeitete. Die wichtigsten Aussagen:

• Zum Abbau von Arbeitslosigkeit ist Arbeitsumverteilung unverzichtbar, weil das Wirtschaftswachstum nur unter unrealistischen Annahmen so hoch sein kann, dass alle freigesetzten Arbeitskräfte an anderer Stelle Arbeit finden.
• Aber es gibt Probleme bei der Umverteilung und Widerstände gegen sie: Qualifikationsdefizite; Lohneinbußen, Rentenminderungen; Umverteilung verursacht Kosten; wenn Umverteilung Arbeitslosigkeit abbaut, steigen die Lohnkosten (Ware Arbeit wird knapper, womit ihr Preis, der Arbeitslohn, steigt).
Im Ergenis sieht die Studie Umverteilung als "umstritten" und ihre Chancen als gering an. Die Studie zeigt Mängel:
• Die Hinter gründe (Warum ist das Thema Arbeitsumvverteilung umstritten?) werden nicht beleuchtet werden (Welche Interessen stehen dahinter?).
• Hinweise auf die Kosten der Nicht-Umverteilung fehlen (jeder Arbeitslose kostet pro Jahr 20 000 Euro).
• Es wird kein Ansatz entwickelt, wenigstens die Chancen für Umverteilung zu verbessern.

Tiefere Ursache dieser Mängel ist wohl, dass eine entscheidende Frage nicht gestellt wird: Wenn Arbeitslosigkeit eine gravierende Ungerechtigkeit ist und kein zum Abbau ausreichendes Wirtschaftswachstum erwartet werden kann, muss sich dann Kirche nicht konsequent auf die Seite der Benachteiligten stellen und die Förderung der Umverteilung von Arbeit in ihre Agenda schreiben? Was wäre denn anderes aus dem Evangelium abzuleiten?

Von katholischer Seite ist 1998 das Memorandum "Mehr Beteiligungsgerechtigkeit" erschienen. Es versteht sich ausdrücklich als Fortführung des Sozialwortes und zielt unter anderem darauf, durch verbesserte Chancen auf dem Arbeitsmarkt mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Real führt es aber in dieser Hinsicht über das Sozialwort nicht hinaus und bleibt bezüglich der unverzichtbaren Umverteilung von Arbeit sogar unklarer.

Am Ende dieser Serie stellt sich die Frage: Wie kann es weitergehen? War das alles, was heute von den Kirchen zum Teilen von Erwerbsarbeit zu sagen ist? Einzelne, sozial engagierte Christen verneinen das. Ihre Proteste aber sind verhallt. Und die Kirchen sind (noch) groß und nicht sehr beweglich. Ist Resignation angesagt, zumal zurzeit auch von den Gewerkschaften wenig Impulse zum Teilen von Arbeit kommen?

Schon vor über 100 Jahren ist in den Kirchen viel Richtiges und Engagiertes zum Thema Arbeit gesagt worden, aber ohne viel Wirkung. Das macht nachdenklich. Eine Erklärung wäre: Die Kirchen kamen damals mit ihrer Wahrnehmung der Arbeiterfrage um Jahrzehnte zu spät -als sich die Sozialdemokratie und die der Kirche mindestens kritisch, wenn nicht gar feindlich gegenüberstehenden Arbeitervereine längst etabliert und der sozialen Probleme angenommen hatten. So kam kein Sachbündnis mit Gewerkschaften und den damaligen Sozialdemokraten zustande. Im Grunde fehlt das bis heute. Wenn wir mit diesem Blick auf die Erfahrungen des 19. und 20. Jahrhunderts nach den Wegen für das 21. Jahrhundert fragen, so lautet die Antwort: Es braucht ein Bündnis aller, die sich für gerechtere Verteilung der Arbeit einsetzen -egal zu welcher Kirche, Gewerkschaft oder Partei sie gehören. Nur so kann eine zukunftsfähigere, weil gerechtere Gesellschaft entstehen.

Weil eine, nicht zuletzt bezüglich der Verteilung von Arbeit gerechtere Gesellschaft auch evangeliumsgemäßer ist, ergibt sich als nahe liegende Aufgabe für die Kirchen, solche Bündnisse voranzutreiben. Dabei muss die schon früher erhobene Forderung nach einer Maximalarbeitsdauer -in aktualisierter Form für heutige Bedürfnisse -wieder aufgenommen werden. Oder sind wir ängstlicher als unsere Urgroßväter und Großväter? Heutige Bedürfnisse sind dabei nicht wie vor 100 Jahren der Schutz des Einzelnen vor Überlastung, sondern das wohlverstandene Gemeinwohl im Sinne gleichmäßigerer Verteilung der noch erforderlichen und nachgefragten Arbeit. Einzelne Christen oder kleine Gruppen wären bei dieser Aufgabe hoffnungslos überfordert. Die Kirchen müssen ihr ganzes Gewicht als noch hörbare Institutionen einbringen. Zugleich könnte dies den Kirchen einen Teil der verlorenen Bedeutung in der Öffentlichkeit zurückbringen, wenn solches Engagement konsequent und erkennbar im Geist des Evangeliums und der biblischen Gerechtigkeitsvorstellungen geschieht.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 45 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 10.11.2003

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