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Aus der Region

Ambivalentes Verhältnis

Kirchen und Wissenschaften

Schon seit dem späten Mittelalter ist das Verhältnis von Wissenschaften und Kirche nicht das beste. Fortschritts- und Konsumdenken scheinen heute wiederum Kirchen und Glauben überflüssig zu machen. Aber: Gerade in einer Zeit zunehmender Unsicherheiten, sucht die Gesellschaft wieder nach Orientierung und Werten, meint Bernhard Wiedemann, Katholik und Leiter der Redaktion Bildung und Wissenschaft im MDR-Fernsehen. Der TAG DES HERRN sprach mit ihm über das Verhältnis von Kirchen und Wissenschaften.

Frage: Herr Wiedemann, wenn man Kirchen und Wissenschaften heute als Rivalinnen betrachtet, kämpfen Sie gewissermaßen auf beiden Seiten der Barrikade. Wie würden Sie deren Verhältnis einschätzen?

Wiedemann: Es ist ambivalent. Beide Seiten bewegen sich für meine Begriffe nicht aufeinander zu, man beäugt sich eher argwöhnisch. Das liegt bei uns im Osten vor allem daran, dass wir die Auswirkungen der DDR-Zeit noch nicht überwunden haben. Religion, Theologie, Kirchen waren aus der Gesellschaft praktisch ausgeschlossen. -einen Dialog gab es nur im kirchlichen Milieu. Nach der Wende haben sich Christen und kirchliche Vertreter an vielen Stellen eingebracht -auch beim Umbau der Hochschullandschaft -, was man ihnen nicht immer gedankt hat. Viele Menschen verstehen bis heute nicht, warum Kirche ausgerechnet an Stellen aufgetaucht ist, die vorher eine andere Macht besetzt hielt -zum Beispiel im Bildungsbereich. Dennoch: Mehr und mehr wird der Ruf und die Suche nach Werten und Moral in der Gesellschaft vernehmbar.

Frage: Wo könnte der Dialog zwischen Kirche und Wissenschaft heute ansetzen?

Wiedemann: Zunächst benötigen wir einen institutionalisierten Dialog: gemeinsame Veranstaltungen, Tagungen und Gesprächsangebote, zu denen Kirche einlädt und umgekehrt. Die Akademikerseelsorge aus der DDR-Zeit kann da ein Vorbild sein. Aber auch in der heutigen Hochschulseelsorge gibt es gute Beispiele, bei denen Kirche in erster Linie mit den Geisteswissenschaften im Gespräch ist. Hier besteht ein erkennbares Interesse, dass Gastgeber und Gast miteinander reden wollen. Insbesondere für den Bildungsbereich sind die kirchlichen Angebote unerlässlich. Das sollte vom Vorschulbereich über die Schule bis hin zum Hochschulbereich reichen und sich nicht auf den Religionsunterricht beschränken. Zum anderen muss sich jeder einzelne Christ in seiner Umgebung als Dialogpartner für Nichtchristen und Suchende verstehen.

Frage: Wenn man über das Verhältnis Kirche und Wissenschaft diskutiert, ist man sehr schnell bei Grenzbereichen wie die Genforschung oder beim wirtschaftlichen Verteilungskampf. Ist es überhaupt möglich, dass ein Forscher sich zum Beispiel aus ethischen Gründen zurücknimmt, wenn er sich nicht selbst seiner Grundlage berauben will?

Wiedemann: Die Kirche ist genau an diesen Grenzbereichen gefragt -besonders da, wo es um die Achtung und die Würde des Menschen geht. Sie muss sich sozusagen mit ihrem eigenen wissenschaftlichen Hintergrund, mit der Theologie, und ihrer geschichtlichen Erfahrung zu den gesellschaftlich umstrittenen Themen positionieren. Der Forscher geht -schlicht gesagt -seinem Beruf nach und handelt allein ergebnisorientiert. Bei der Bewertung seiner Ergebnisse ist er auf ethische Kategorien, wie sie die Kirche vertritt, angewiesen. Wenn sich Kirche nicht zum Beispiel zu Fragen der Gentechnik äußert, wird die Wissenschaft allein gelassen. Es kann zu Entwicklungen kommen, durch die die Gesellschaft, die Menschheit Schaden nehmen kann. Der Dialog zwischen Kirche und Wissenschaft -vor allem den Naturwissenschaften -hat hier seine besondere Bedeutung: Hilfen zu geben, wenn die Gefahr droht, dass die menschliche Würde verletzt werden könnte.

Interview: Andreas Schuppert

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 46 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 17.11.2003

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