Nicht unumstrittene Architektur
Erwachsenenbildung lud zu Abend über die Bauten des Wiener Künstlers Hundertwasser ein
Magdeburg (ep) -Die Architektur Friedensreich Hundertwassers ist "nicht eine große, wirkliche Alternative zur Großarchitektur des 20. Jahrhunderts". Zu diesem Schluss kam die Kunsthistorikerin Eva-Maria Seng aus Halle bei einem Vortrag zum Thema "Mehr als Friedensreich Hundertwasser -Aspekte zu Architektur und Städtebau im 20. Jahrhundert". 50, 60 oder 70 Wohnungen in einem Projekt wie der in Magdeburg geplanten Grünen Zitadelle seien "auch ein Klotz, Großarchitektur und ein Massenbau" , sagte die Privatdozentin vor rund 90 Interessierten bei einem Abend der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) im Magdeburger Kulturhistorischen Museum, wo derzeit die Hundertwasser-Architekturausstellung "Gehasst -Gebaut -Geliebt" gezeigt wird.
Hundertwasser ( 2000) habe bereits in den 50er Jahren "zu einer Zeit, als die Städte noch nicht architektonisch verwüstet waren", Front gegen die Massenbauten mit ihrer schematischen Gleichförmigkeit gemacht, sagte Frau Seng. Das Hauptübel der meisten modernen Bauten sah Hundertwasser in der "geraden Linie", die er als unmenschlich brandmarkte. Hundertwasser ging gegen die industrielle Bauweise mit Demonstrationen und Manifestationen vor. Sein Rezept für modernes Bauen: Verunregelmäßigung der Skyline, der Fenster, Anbringung von Türmen, Begrünung der Dächer. Mit seinem Manifest "Dein Fensterrecht -Deine Baumpflicht" 1972 etwa warb er für individuelle Fenstergestaltung durch den jeweiligen Bewohner und Begrünung durch Bäume, die aus Fenstern herauswachsen. Verwirklicht wurden seine Anregungen im Umbau eines Betonbaus zum bekannten Hundertwasserhaus in Wien. In diesem Bau werde seine Nähe zum Wiener Sezessionsstil, noch mehr aber seine Epigonenhaftigkeit im Blick auf den katalanischen Künstler Antoni Gaudi (1926) deutlich, so Privatdozentin Seng. "Gaudi ist etwa mit seinem Wohnhaus Casa Milà und der Kathedrale Sagrada Famíla in Barcelona das eigentliche Vorbild für Hundertwassers architektonisches Schaffen", wobei er nicht an dessen Originalität etwa hinsichtlich von Gaudis Skelettbauweise oder die Verwendung nur natürlicher Materialien heranreiche, sondern mit seinen äußeren Veränderungen von Bauten "nur an der Oberfläche" bleibe. Frau Seng erinnerte auch daran, dass ein 1987/88 in Frankfurt (Main) geplanter Bau eines Gemeindezentrums mit einem halb unterirdisch untergebrachten Kindergarten an der fehlenden Bauerlaubnis des Ordinariates Limburg scheiterte. Begründung: Hundertwasser habe die Natur in seinem Entwurf über den Menschen gestellt. In der sich dem Vortrag anschließenden Diskussion äußerte sich der Leiter der KEB, Ludger Nagel, betroffen über die totalitäre und apodiktische Kritik Hundertwassers gegenüber der zeitgenössischen Architektur, wie sie auch in der Ausstellung in Magdeburg deutlich wird.
Trotz aller kritischen Anmerkungen glaubt Privatdozentin Seng, dass eine Stadt wie Magdeburg neben dem gotischen Dom, den Stalin-, den DDR- und den erhalten gebliebenen Barockbauten auch "einen Hundertwasserbau verträgt" .
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 24.11.2003