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Spezial

Endstation Sibirien?

Interview mit einer Ordensschwester aus Omsk

Eines von vielen Bildern der Not: Ein Obdachloser in Omsk.

Sie betreuen ein Gebiet von der Größe Deutschlands. Sie erleben jährliche Temperaturunterschiede von bis zu 80 Grad Celsius. Sie sehen bitterste Armut, Resignation und erfahren gleichzeitig eine überwältigende Gastfreundschaft und Dankbarkeit. Die Rede ist von sechs deutschsprachigen Schwestern der Gemeinschaft der Missionarinnen Christi und der Aachener Franziskanerinnen, die seit mehreren Jahren im sibirischen Omsk unter schwierigen Bedingungen Caritasarbeit aufbauen. In diesem Interview gibt Schwester Ursula Schneider einen Einblick in die Caritasarbeit in den Weiten Sibiriens. Schwester Ursula kommt aus dem Kloster der Armen- Schwestern vom heiligen Franziskus in Aachen. Vor ihrem Russland-Einsatz hatte sie mehrere Jahre die Wärmestube für Obdachlose in Aachen geleitet.

Was hat Sie bewogen, in ein Land zu gehen, dessen Sprache Ihnen fremd war und von dem man landläufig nicht viel mehr weiß, als dass es dort im Winter sehr kalt ist?
Meine Generaloberin sprach mich im November 2001 an, ob ich mir vorstellen könnte, für einen Kurzeinsatz nach Omsk in Sibirien zu gehen. Nach einer Bedenkzeit habe ich zugestimmt. Bei meinem Schnuppereinsatz im Sommer habe ich sozusagen "Blut geleckt" und spürte, dieser Einsatz und das Leben dort ist jetzt für mich dran. Ein Caritas-Wort heißt: "Not sehen und handeln". Ich glaube, im Sommer habe ich viel Not bereits gesehen und fühlte mich angesprochen, mich dort in Omsk mit einzusetzen und dort mit meinen Mitschwestern zusammenzuarbeiten.
Wie ist die Situation der Menschen, die zu Ihnen kommen?
Die sozialen Sicherungssysteme funktionieren fast gar nicht mehr: Renten werden mit monatelanger Verspätung ausgezahlt, Medikamente und medizinische Behandlungen müssen von den Patienten selbst bezahlt werden, für das Essen im Krankenhaus müssen die Angehörigen sorgen. Ganze Industriezweige sind zusammengebrochen, und wer noch Arbeit hat, dem wird der geringe Lohn häufig verspätet ausgezahlt. Die Bankenkrise im Herbst 1998 löste eine weitere schwere wirtschaftliche Rezession und Inflation aus, durch die auch ein großer Teil des so genannten "Mittelstandes" in die Armut gerissen wurde und die Familien ihre letzten kleinen Reserven verloren. Am härtesten betroffen sind kinderreiche Familien und allein Erziehende. Die Folgen: Alkoholismus, Alters- und Kinderarmut und armutsbedingte Erkrankungen wie beispielsweise Tuberkulose.
In welchen Bereichen hilft die Caritas?
Die Caritas in Omsk hat es sich seit ihrer Gründung im Herbst 1995 zur Aufgabe gemacht, neben materiellen Hilfen zur Überlebenssicherung Programme im Rahmen der sozialen Integration und Förderung der Selbsthilfekräfte der Familien zu entwickeln. In verschiedenen Diensten wird dies umgesetzt, beispielsweise im Kinderklub oder in der Suppenküche.
Hat es in der Zeit, seit Sie in Omsk sind, ein besonderes Erlebnis gegeben?
Für mich war der Katastrophenhilfeeinsatz Anfang des Jahres in Slawjanka ein besonderes Erlebnis. In diesem Dorf waren die Pumpen des Heizkraftwerkes ausgefallen und so froren die Menschen. In vielen Haushalten platzten bei minus 40 Grad innerhalb kürzester Zeit die Heizungsrohre. Mit Unterstützung des Deutschen Caritasverbandes konnten wir den Menschen dort mit Lebensmitteln, Medikamenten, Decken und Kleidung in ihrer schweren Lage helfen. Dazu bin ich mit drei Mitarbeiterinnen vier Tage in dem Dorf gewesen, um diese Hilfsmittel an über 1500 Personen zu verteilen. Hinterher haben wir Briefe bekommen, in denen die Menschen zum Ausdruck brachten, dass wir nicht nur ihren Hunger gestillt hätten, sondern auch ihrer Seele etwas Gutes getan hätten.

Fragen: Claudia Kern

Schwester Ursula Schneider ist in diesen Tagen in Ostdeutschland unterwegs. Wer ihr begegnen will, hat dazu Gelegenheit am 26. November in Leipzig (19.30 Uhr in der Hedwigskapelle, Kochstr. 66) und am 27. November in Eisenach (14.30 und 19.30 Uhr in der Pfarrei St. Elisabeth, Sophienstr. 8).
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 47 des 53. Jahrgangs (im Jahr 2003).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 24.11.2003

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