Sonntags geht die Uhr anders
Zur Diskussion um die Sonntagsruhe
Längere Öffnungszeiten, Ausdehnung der Verkaufszeiten auch auf Sonn- und Feiertage -die Dinge sind im Fluss. Vor dem Bundesverfassungsgericht klagt jetzt sogar eine Kaufhauskette gegen das Verbot der Sonntagsarbeit. Wo geht die Entwicklung hin? Der TAG DES HERRN sprach mit dem Leipziger Historiker und Katholiken, Professor Ulrich von Hehl, der an der Ausstellung über die Geschichte des Sonntags mitarbeitete.
Frage: Sie haben sich gegen die Aufweichung des Ladenschlussgesetzes ausgesprochen. Warum?
von Hehl: Ich habe mich nicht unbedingt gegen die Aufweichung des Ladenschlussgesetzes ausgesprochen. Ich würde es sogar ganz abschaffen. Aber ich wehre mich dagegen, dass die Sonntagsruhe aufgeweicht wird. Das ist etwas anderes. Wir haben durch den freien Samstag und durch die langen Ladenöffnungszeiten bisher schon viele Möglichkeiten einkaufen zu gehen, man muss nicht auch noch den Sonntag dafür hernehmen.
Frage: Sie gehen am Sonntag also nicht einkaufen?
von Hehl: Ich gehe auch werktags nicht einkaufen. Das muss meine Frau für mich erledigen.
Frage: Gehen wir einer Gesellschaft entgegen, die sich den Sonntag abschafft?
von Hehl: Wir gehen offenkundig Zeiten entgegen, in denen der Sonntag nicht mehr christlich zu rechtfertigen ist, weil wir immer stärkere Säkularisierungs- und Entchristlichungstendenzen beobachten können. Aber damit ist nicht gesagt, dass die bürgerliche Absicherung des Sonntags, die Sonntagsruhe, der Sonntag als ein Tag, an dem man Zeit füreinander hat, nicht verteidigt werden kann. Das sollte uns der Sonntag auch wert sein.
Frage: Eine Möglichkeit, wo sich Christen und Nichtchristen treffen können?
von Hehl: Natürlich. Bei aller uns zur Verfügung stehenden Freizeit, die wir gerne genießen, müssen wir auch daran denken, dass wir sie auch auf Kosten derer verbringen, die an diesem Tag für uns arbeiten müssen, sei es in den Ausflugslokalen, bei der Straßenbahn oder bei den Diensten, die rund um die Uhr aufrecht erhalten werden müssen, wie Krankenhäuser oder die Feuerwehr.
Frage: Für die Sonntagsarbeit werden immer wieder wirtschaftliche Gründe angeführt. Wie lässt sich hier vermitteln, dass Wachstum auch seine Grenzen hat?
von Hehl: Wir sind zweifellos bereits an den Grenzen des Wachstums angekommen. In dieser konkreten Diskussion heißt das: Es wird durch die Ausdehnung der Einkaufsmöglichkeiten keineswegs mehr verkauft. Es wird lediglich zu einem Verdrängungswettbewerb kommen. Auf der anderen Seite kann man in katholischen Ländern wie Italien beobachten, dass dort die Läden in viel stärkerem Maße als bei uns für den allgemeinen Bedarf auch am Wochenende geöffnet sind. Aber das sind meist Geschäfte, die in Familienhand sind. Öffnungszeiten zum Beispiel sind von sehr langen Pausen abgelöst, so dass sich die Dinge dort irgendwie einspielen. Diese Verhältnisse haben wir bei uns kaum noch. Eine Ausdehnung von Verkaufszeiten auf die Sonntage würde dazu führen, dass die kleinen Einzelhandelsgeschäfte verdrängt werden und nur die großen Ketten sich behaupten können.
Frage: Sie haben an der Ausstellung zur Geschichte des Sonntags mitgewirkt, die zurzeit in Leipzig zu sehen ist. Wie ist dieses Konzept hier angekommen?
von Hehl: Nicht so gut, wie wir es uns erhofft hatten, weil der Eindruck entstand, die Ausstellung sei in erster Linie etwas, was den christlichen Sonntag verteidigen soll. Verglichen mit Bonn, wo fast 130 000 Besucher die Ausstellung gesehen haben, kamen in Leipzig bisher nur 23 000. Das überrascht, denn die Ausstellung will zeigen, wie sich der Charakter des Sonntags im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hat und wie aus einem ursprünglich christlichen Tag ein freier Tag geworden ist und mittlerweile ein Tag, der von allen Seiten attackiert wird, weil man die Sonntagsruhe durch wirtschaftliche oder sonstige Interessen in Frage stellt.
Interview: Andreas Schuppert
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 04.12.2003