Stille Formen des Protestes
Der 17. Juni 1953 in Erfurt und die Kirchen -Eine Ausstellung
Erfurt -"Ein deutscher Junge trägt kein Texashemd." So lautet die Überschrift einer Zeitungsseite, die jetzt in einer Ausstellung über den 17. Juni 1953 im Erfurter Stadtmuseum zu lesen ist. Nicht nur Streiks und Demonstrationen stehen im Mittelpunkt der Schau. Die bisher nahezu unbeachteten Proteste in der ehemaligen Bezirkshauptstadt werden näher beleuchtet. Die Erforschung der lokalen Ereignisse brachte auch kuriose Geschichten hervor, wie von den "Provokateuren", die nur durch das Tragen von "Texashemden" auffielen. Die Dokumentation ist der zweite Teil eines einjährigen Geschichtsprojektes von Studierenden der Universität Erfurt in Kooperation mit Professor Alf Lüdtke von der Arbeitsstelle für Historische Anthropologie des Max-Planck-Instituts für Geschichte.
Anders als im Wendejahr 1989 spielten die Kirchen bei den Protesten 1953 eine untergeordnete Rolle. Über die evangelischen jungen Gemeinden war im Frühjahr 1953 eine Welle der Drangsalierung hinweggegangen, Schulverweise waren ausgesprochen worden. Entsprechend hoch ist selbst heute noch der Grad an Emotionalität: Ältere Menschen erzählten unter Tränen Geschichten aus ihrer Jugend, von Schulverweisen wegen der Kirchenmitgliedschaft. "Das ist mehr als wir erwartet haben" , meint die Studentin Claudia Müller. So ist es leichter erklärbar, dass die evangelischen Kirchen nach der Rücknahme von Schulverweisen und Repressalien eher still hielten, während die Bevölkerung ihrem Unmut Luft machte. Nach einem Treffen mit den evangelischen Bischöfen am 10. Juni 1953 hatte Ministerpräsident Otto Grotewohl den Kirchenkampf zurückgenommen.
Für Stalin nicht die Mütze abgenommen
Aber auch auf katholischer Seite hielt man sich mit Unterstützung für die Streikenden zurück, war man froh, dass die verschärfte Agitation gegen die katholischen Pfarrjugenden zeitweise eingestellt worden war. In einem Gebet hieß es in Anspielung auf den 17. Juni als "Tag X" sogar: "Herr gib, dass wir nur auf dich und nicht auf den Tag X vertrauen."
Doch gab es Ausnahmen von der allgemeinen Zurückhaltung: Ein evangelischer Pfarrer mobilisierte in Thüringen sein ganzes Dorf gegen die Behörden und versetzte es damit quasi in wochenlangen Belagerungszustand durch die Rote Armee. Auch gab es persönliche, wenn auch stillere Formen des Protestes: Der Erfurter Joachim Kaiser, damals angehender Goldschmied, berichtet in einem Interview, dass er bei der Gedenkfeier zu Stalins Tod nicht die Mütze abgenommen hätte. Wegen seiner katholischen Erziehung war er nicht konform. Bei seiner Meisterprüfung hörte Joachim Kaiser von den Protesten über den Rias-Sender.
Zahlreiche zeitgenössische Exponate illustrieren den DDRAlltag der beginnenden 50er Jahre. Gezeigt werden eine alte Zellentür, SED-Fahnen, Lebensmittelkarten und abgerissene Parteiabzeichen, Aktenkopien der Stasi und Zeitungsartikel. In den DDR-Zeitungen wurden damals junge Männer aus Erfurt mit so genannten Nickys als Feinde des Volkes abgebildet. Einige dieser Männer konnten die Studenten ausfindig machen, die Interviews geben an den Hörstationen einen lebendigen Eindruck ihres Protestes wieder.
Reiner Just / tdh
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 04.12.2003