Modernes Ideal
Kirchenhistoriker über Bonifatius
Am 5. Juni 2004 sind es 1250 Jahre, dass der heilige Bonifatius auf einer Missionsreise ermordet wurde. Das ist Anlass für ein Gedenkjahr, in dessen Rahmen auch im Bistum Erfurt Veranstaltungen stattfinden. In einem Interview, das der TAG DES HERRN in Auszügen veröffentlicht, skizzierte der emeritierte Münsteraner Kirchengeschichtler, Arnold Angenendt, die religiöse und politische Bedeutung von Bonifatius.
Angenendt: Erfolgreich? Bonifatius ist mit dem Empfinden gestorben, absolut erfolglos gewesen zu sein. Mit 40 Jahren ist er als Angelsachse aus England fortgezogen, um seine Stammesgenossen, die Sachsen, zu missionieren. Doch er ist nie nach Sachsen gekommen, hat stattdessen bei Thüringern, Friesen und Hessen missioniert. Mit über 80 Jahren musste er sich sagen, dass er seine Mission nicht erfüllt hatte.
Frage: Spielte dieses landsmannschaftliche Denken eine solche Rolle?
Angenendt: Die nach-antike Welt dachte in Clan- oder Stammesstrukturen. Nur das eigene Volk war wichtig. Als die Franken Christen wurden, schmorten sie sozusagen weiter im eigenen Saft, ohne Kontakt zu Rom oder den christlichen Westgoten. Doch dann kamen die angelsächsischen Missionare, die diese völkische Kirche aufbrechen wollten, weil für Gott alle Menschen und Völker gleichviel Wert haben. Die Missionare hatten ein sehr modernes Ideal: Einerseits wollten sie bei ihren Blutsverwandten missionieren, doch andererseits verpflichteten sie sich, als Christen unter Fremden zu leben und zu wirken -eine gefährliche Sache, wie man an Bonifatius sieht.
Frage: Bonifatius sozusagen als ein Vorläufer europäischen Denkens?
Angenendt: Bonifatius hat die fränkische Kirche zur Gemeinschaft aller Christen geöffnet. Und das bedeutete in seiner Situation, dass er sie auf Rom und den Papst hin orientiert hat. Sicher kann man sagen, dass er Grundlagen für das Völker übergreifende fränkische Reich Karls des Großen und damit für das so genannte christliche Abendland gelegt hat.
Frage: Dabei hat er engen Kontakt mit den damaligen politischen Machthabern gepflegt. Hatte das nicht auch negative Auswirkungen auf die Freiheit der Kirche?
Angenendt: Bonifatius hat diese Problematik einer zu engen Symbiose von Religion und Politik gesehen und dem Papst seine Zweifel und Bedenken geschildert. Aber er wusste keine Alternative. Denn Fürsten und Könige der Franken sahen sich als weltliche und religiöse Herrscher, während der Papst in ihrem Denken kaum eine Rolle spielte. An diesem Anspruch kam Bonifatius nicht vorbei.
Frage: Unbestritten ist die Bedeutung des Bonifatius für die Herausbildung einer Klosterkultur. Was macht diese Bedeutung aus?
Angenendt: Stellen Sie sich das heutige Deutschland östlich des Rheins im frühen Mittelalter vor: Es gab keine Straßen, kein Steinhaus und wohl kein einziges Buch. Und dann kommt da ein Missionar, der die Botschaft der Bibel verkündet, Kirchen und Klöster gründet -eine ungeheure zivilisatorische Leistung, die dazu noch immens teuer gewesen ist. Denn für das Pergament einer einzigen Bibelhandschrift musste man 250 Tiere töten. Man musste Werkstätten und Häuser bauen und Schreibstuben gründen -kurz gesagt: Bonifatius musste eine ganze Industrie aufbauen. Die riesigen Ländereien der Klöster dienten auch dazu, diese große Leistung zu finanzieren.
Frage: Bonifatius wird oft auch als "Apostel der Deutschen" bezeichnet. Hatte er diesen Titel schon im Mittelalter, oder ist das eine Charakterisierung des 19. Jahrhunderts?
Angenendt: Kurz nach seinem Tod blühte der Märtyrerkult. Es gab zum Beispiel unzählige Schenkungen an das von Bonifatius gegründete Kloster Fulda -so viele, dass Fulda zu einem der größten Landbesitzer auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands wurde. Doch im Hoch- und Spätmittelalter spielte das Andenken an den Heiligen keine so große Rolle. Erst im 19. Jahrhundert, im Zuge der Gründung des deutschen Nationalstaates, wurde Bonifatius wiederentdeckt. Allerdings als umstrittene Persönlichkeit ...
Frage: ... vermutlich war er den Protestanten zu Rom-hörig?
Angenendt: Genau. Für viele Protestanten damals hat Bonifatius das sich bildende deutsche Christentum an Rom ausgeliefert. Dieser Vorwurf hat noch bis ins 20. Jahrhundert in der protestantisch dominierten Geschichtswissenschaft eine Rolle gespielt. Umgekehrt haben die Katholiken mit Hilfe von Bonifatius den Vorwurf zurückgewiesen, die katholische Kirche habe nichts zur Herausbildung Deutschlands beigetragen.
Interview: Christoph Arens
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 11.12.2003