Fortschreibung oder Rücknahme des Sozialwortes?
Ein Nachtrag zu einer Reihe zur ethischen Diskussion: Zum Impulstext "Das Soziale neu denken"
Was haben die Kirchen zum Thema Arbeit gesagt? Antworten auf diese Frage hat Werner Schmiedecke in der vierteiligen Reihe "Kirche und Arbeit" (TAG DES HERRN Nr. 42 bis 45 / 2003) gesucht. Zusammen mit den evangelischen Kirchenzeitungen in Mitteldeutschland haben wir den Autor jetzt nach seiner Einschätzung des Text der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz "Das Soziale neu denken. Für eine langfristig angelegte Reformpolitik" gefragt (Berichte hierzu auch auf den Seiten 2 und 4):
Die Überraschung war nicht gering, als die Deutsche Bischofskonferenz am 2. Dezember für den 12. Dezember ein neues katholisches Sozialwort ankündigte, ist es doch um das Gemeinsame Sozialwort der Kirchen von 1997 still geworden. Vorgestellt wurde der "Impulstext" -so die jetzige offizielle Bezeichnung -durch den Bischofskonferenz- Vorsitzenden, Kardinal Karl Lehmann. Er betont, das Papier sei weder Kommentar zur Position der Bundesregierung noch zur Haltung der Opposition. Gut, wie deutlich er dabei Ungleichgewichte bei der Interessenvertretung der benachteiligten Gruppen und bei der Abwägung der heutigen Interessen gegen die der kommenden Generationen in seiner Erklärung benennt. Ebenso bringt er sozial "skandalöse" Zustände zur Sprache wie die prekäre Situation vieler Familien mit Kindern, von Langzeitarbeitslosen und die "wachsende Zahl von Menschen, denen unser Bildungssystem wirkliche Chancengerechtigkeit vorenthält".
Mit dem 28-seitigen Text selbst hat es der Leser relativ schwer. Bei der durchgängigen, neoliberal gefärbten Sozialstaatskritik schleicht sich Unbehagen ein, beispielsweise wenn es heißt: Es "... wurde für viele das Soziale zu einem Anspruch, um eine immer komfortablere Normalität herzustellen." Wie komfortabel das normale Leben der Benachteiligten hier und heute ist, wissen die Autoren wahrscheinlich nicht aus eigener Anschauung. Nicht nur die Sozialauswahl der Autoren (acht der zehn Genannten sind Professoren) stellt einen methodischen Mangel dar, sondern auch die Nicht-Heranziehung der christlichen Sozialverbände oder auch des renommierten Katholisch- Sozialen Instituts (KSI) der Erzdiözese Köln.
Im Text selbst steht nichts, was falsch wäre. Aber: Anderes, ebenso Wahres fehlt. So heißt es: Das "Dickicht von Transferleistungen (des Sozialstaats) ... trägt darüber hinaus zu einer wachsenden Staatsverschuldung bei." Auf den ersten Blick wahr, auf den zweiten nur die halbe Wahrheit. Denn zu den Staatsschulden trägt erheblich bei, dass etliche große Unternehmen trotz ausgewiesener Gewinne kaum noch Steuern zahlen. Und dass die Arbeitslosigkeit jährlich über 80 Milliarden Euro kostet. Zur Erinnerung: Das Sozialwort von 1997 hatte als eine der Ursachen der Arbeitslosigkeit benannt, die gestiegene Arbeitsproduktivität sei nicht durch Arbeitszeitverkürzung kompensiert worden.
Trotz der kritikwürdigen Punkte enthält der Text wichtige Anregungen und Forderungen wie: die Begrenzung von sozialer Ungleichheit, die Orientierung am Wohl der Benachteiligten, konsequente Familienförderung und entsprechende Bildungspolitik, Beachtung der Nachhaltigkeit bei allen Entscheidungen.
Besonders zu begrüßen ist die Forderung nach einem "Sozialstaats- TÜV", der als neutrale Institution alle sozialpolitisch wirkenden Maßnahmen -und ihre Alternativen -auf deren kurz-, mittel- und langfristigen Folgen prüfen soll. Die Ergebnisse sollen dem Parlament wie der Öffentlichkeit vorgelegt werden.
Bischof Josef Homeyer (Hildesheim) hat bei der Vorstellung klar herausgestellt, dass der Text die Kirche selbst verpflichtet: "Auch die Kirche muss immer wieder prüfen, wie sie am wirkungsvollsten ihrer Anwaltschaft für die Ausgeschlossenen und Benachteiligten gerecht wird." Diesem Anspruch könnte sie beispielsweise dadurch nachkommen, dass sie stellvertretend für den zu langsam reagierenden Staat einen "Vorab-Sozialstaats- TÜV" initiiert, der beispielsweise folgende Probleme untersuchen lässt: Vergleich der Wirkungen von allgemeiner Arbeitszeitverlängerung / -verkürzung, Vergleich von Kopfpauschalenmodell mit Bürgerversicherung nach Schweizer Vorbild, vergleichende Betrachtung der Einkommensentwicklung aus abhängiger Beschäftigung, aus Vermögen und aus Unternehmertätigkeit in Verbindung mit den Quellen des Steueraufkommens. Ganz neu wäre das nicht, denn die Kirche könnte bei einem solchen Dienst an der Gesellschaft an die von katholischen und evangelischen Persönlichkeiten moderierten "Runden Tische" der Wendezeit anknüpfen.
Werner Schmiedecke
Den Text und die Presseerklärungen gibt es im Internet unter www.dbk.de, ebenso eine ausführliche Kritik der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) unter www.kab.de
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 19.12.2003