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Aus der Region

Der Preis der Einheit

Eine Diskussion über das Bistum Berlin und die Kirche in der DDR nach dem Mauerbau

Berlin (mh) -Dass die katholische Kirche in Berlin eines der letzten Symbole der deutschen Einheit war, ist unbestritten. Die Bewahrung der Einheit des Bistums trotz der Teilung der Stadt -das war für Kardinal Alfred Bengsch das wohl wichtigste Anliegen. Wenige Tage nach dem Mauerbau 1961 wurde der damalige Weihbischof Bengsch zum Bischof von Berlin ernannt. Und er blieb es bis zu seinem Tod 1979. Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten er kämpfen musste, zeigt ein Buch der Historikerin Ruth Jung mit dem Titel "Ungeteilt im geteilten Berlin?". Das Buch war Anlass für eine Podiumsdiskussion, deren Untertitel zwar "Das Bistum Berlin nach dem Mauerbau" hieß, bei der sich aber schnell zeigte, dass die kirchliche Entwicklung in der ganzen DDR von Berlin aus wesentlich geprägt wurde.

Warum spielte die Einheit des Bistums für Bengsch eine so große Rolle, dass sein wichtigstes Vermächtnis in seinem geistlichen Testament die Aufforderung ist: "Bewahrt die Einheit des Bistums"? Bengsch war Berliner. Wie sehr er die Stadt liebte, in der er 1921 geboren wurde, zeigt der Berliner Bär in seinem Bischofswappen. Und der Berliner Bengsch wollte nicht daran schuld sein, dass nach der Teilung seiner Stadt auch noch seine Kirche geteilt wird, erklärte der langjährige Caritasdirektor Heinz Dietrich Thiel.

Weitgehende Abschottung vor der Öffentlichkeit

Dem Bemühen um die Einheit war alles andere untergeordnet: Bengsch verzichtete zwar nicht auf deutliche Worte zu den Verhältnissen in der DDR, aber er äußerte sich in der Regel nicht öffentlich, sagte Ruth Jung. Eine politisch nicht agierende Kirche konnte auch kein politischer Gegner sein, beschrieb Christoph Kösters von der Kommission für Zeitgeschichte eine Grundauffassung Bengschs, um die Arbeit der Kirche und ihre Einheit nicht zu gefährden.

Der Preis dafür war, dass sich die katholische Kirche in der ganzen DDR vor der Öffentlichkeit weitgehend abgeschottet hat. Warum, wollte Joachim Jauer wissen, der als ZDF-Korrespondent in der DDR entsprechende Erfahrung gesammelt hat. "Die Wahrung der kirchlichen Einheit und der Schutz des einzelnen Christen vor eventuellen Repressalien waren wichtiger als öffentliche Äußerungen", antwortete der Heiligenstädter Propst Heinz Josef Durstewitz. "Dennoch hat es politische Äußerungen gegeben, etwa bei den großen Wallfahrten im Eichsfeld. Da wurde vom Bischof auch mal Fraktur geredet."

Die grundsätzliche Haltung war in der Kirche selbst nicht unumstritten. Vor allem nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gab es deutliche Kritik an Bengsch, dessen Kurs ihm den Ruf eingebracht hatte, die Umsetzung des Konzils in der DDR vor allem in Fragen des Laienengagements und der Begegnung zwischen Kirche und Welt verhindern zu wollen.

Einer der schärfsten Kritiker des Bengschkurses war der Leipziger Oratorianer Wolfgang Trilling. Christoph Kösters zitierte eine Äußerung Trillings von 1967, in der er das Übergewicht des Klerus, die Fixierung der Kirche auf den Bestandserhalt mit der Gefahr der Ghettoisierung und das Prinzip des Monologs anstelle des Dialogs kritisierte. Stattdessen, so Trillings Forderung, müsse die Kirche den Dialog praktizieren, die Laienarbeit verbessern und die Schwerpunkte ihres Dienstes in der Ökumene und im Gespräch mit den Nichtchristen setzen. Doch nur zaghaft ging die Kirche Schritte in diese Richtung.

dem Mauerfall -wirkt sich die kirchenpolitische Haltung von Kardinal Bengsch aus. Auch das machte die Diskussion deutlich. Nicht nur die gegenwärtige Finanzkrise des Erzbistums hat in den Jahren der Teilung eine Ursache. Gewachsen seien auch Mentalitätsunterschiede. Der Leipziger Historiker Wolfgang Tischner verwies etwa auf eine unterschiedliche Kirchlichkeit in Ost und West: Ostdeutsche Katholiken seien kirchennäher und pfarreiorientierter als westdeutsche. In der Gemeindeseelsorge gebe es zwar kaum Unterschiede, dafür seien diese in der Laien- und Verbandsarbeit um so größer, sagte der Berliner Pfarrer Manfred Ackermann. Ein Hoffnungszeichen über alle Unterschiede hinweg setzte am Ende der Berliner Weihbischof Wolfgang Weider: Früher habe er sich genau überlegt, was er im Osten und was er im Westen predigte, berichtete er. "Heute mache ich da keinen Unterschied mehr."

Ruth Jung:
Ungeteilt im geteilten Berlin?,
Morus-Verlag, Berlin 2003,
ISBN 3-87554-375-0,
Preis: 19,90 Euro.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 5 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 05.02.2004

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